Kalix - Die Werwölfin von London
selbst immer noch dünn.
Zu dünn, hatte er ihr gesagt. Sie hatte gelacht und ihm gesagt, wenn er dünne Werwölfinnen nicht möge, solle er sich lieber eine andere suchen. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war sie still und verstört gewesen. Später hatte sie oft gelacht. Er fragte sich, ob sie das immer noch tat. Er fragte 191
sich auch, ob sie einen anderen kennengelernt hatte. Darüber durfte er nicht zu lange nachdenken, es war einfach zu schmerzhaft.
Tief in seiner Seele glaubte Gawain nicht, dass Kalix einen anderen gefunden hatte. Es konnte für sie keinen anderen geben als ihn, ebenso wie es für ihn keine andere gab als Kalix.
Gawain war der einzige Werwolf im Zug, aber er blieb nicht unbeobachtet. Als Sarapen erfahren hatte, dass Gawain geflohen war, hatte er die Bahnhöfe beobachten lassen. Gawain war bald entdeckt und verfolgt worden, aber nicht von einem Werwolf. Einen Werwolf, der ihm folgte, hätte er sofort gerochen.
Sarapen hatte einen Mann namens Madrigal losgeschickt, der schon früher für ihn gearbeitet hatte und auf den er sich verlassen konnte. Sein Auftrag lautete, Gawain zu folgen und abzuwarten, ob der Werwolf ihn zu Kalix führen würde.
Außerdem wurde Gawain von zwei Werwolfjägern der Gilde beobachtet, die nach getaner Pflicht von Schottland nach London zurückkehrten. Er war ihnen sofort verdächtig vorgekommen. Dem Aussehen nach war er ein MacRinnalch, und seine Art, sich zu bewegen, ließ die erfahrenen Jäger einen Werwolf vermuten. Sie behielten ihn während der ganzen Fahrt Richtung Süden unauffällig im Auge. Nichts an ihrem Aussehen oder Verhalten verriet, dass sie zur Gilde gehörten, aber in ihren Aktentaschen trugen sie Waffen mit Kugeln aus Silber.
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Kalix hatte nach Thrix' Besuch extrem schlechte Laune. Wie Daniel Moonglow berichtete, saß sie schmollend in ihrem Zimmer und wollte nicht rauskommen.
»Sie sagt, wir dürfen Thrix nie wieder ins Haus lassen, weil sie 191
eine böse Hexe ist, und wenn wir weiter ihre Feinde einladen, geht sie sofort.
Außerdem hasst sie uns, weil wir nicht genügend Fernsehprogramme haben, und sie glaubt, wir würden sie absichtlich davon abhalten, öfter Sabrina zu sehen, weil wir wahrscheinlich zu dumm sind, um zu merken, wie großartig die Serie ist. Und sie findet es scheußlich, wie mir die Haare ins Gesicht fallen, und sie sagt, wenn du dich noch mehr schminkst, wird ihr schlecht, und außerdem könntest du ab und zu mal etwas anziehen, das nicht schwarz ist. Dann ist ihr Bett unbequem, der CD-Player, den ich ihr gegeben habe, funktioniert nicht richtig, und abgesehen davon gefällt ihr die Farbe an den Wänden nicht. Und sie -«
»Bitte, hör auf«, sagte Moonglow mit erhobener Hand. »Also geht es ihr im Grunde gut, oder?«
»Eigentlich ja«, sagte Daniel. »Wahrscheinlich fällt es ihr nur schwer, mit ihrer Familie zurechtzukommen.«
Er warf einen Blick in den kleinen Spiegel über dem Kamin.
»Ist es wirklich so abstoßend, wenn mir die Haare ins Gesicht fallen?«
»Total«, sagte Moonglow. »Ich wollte schon oft was dazu sagen.«
Sie war erleichtert, dass Kalix trotz ihrer langen Beschwerdeliste nicht ihre Tasche gepackt hatte, um zu gehen. Die junge Werwölfin lebte sich sogar recht gut ein, wenn auch auf übellaunige, nörgelige Art. Moonglow gab zu bedenken, dass dieses ständige Maulen vielleicht für Kalix die einzige Möglichkeit war, zu ihnen eine Beziehung aufzubauen.
»Ich glaube, sie hat nicht viel Erfahrung darin, sich in Gesellschaft anderer wohl zu fühlen. Wenn sie sich daran gewöhnt, wird es bestimmt leichter.«
Daniel hoffte, dass Moonglow recht hatte. Immerhin war Kalix nicht wieder gewalttätig geworden und schien in letzter Zeit auch keine Panikattacke erlitten zu haben.
»Sie wirkt ruhiger, seit sie ihre Flasche aufgefüllt hat«, sagte er. »Was da wohl drin ist?«
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Laut Kalix enthielt ihre Flasche einen Kräutersud, für den Werwölfe eine große Vorliebe hegten.
»Das trinken alle MacRinnalchs«, sagte Kalix, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass weder Daniel noch Moonglow der Flasche nahekamen.
»Kommst du morgen mit zu der Party?«, fragte Moonglow. Daniel schüttelte den Kopf.
»Ich wollte eigentlich, aber jetzt fühle ich mich wegen meiner Haare mies.«
»Sei nicht albern. Du hast schöne Haare. Wenn du sie wäschst. Und das machst du bestimmt, wenn Alicia auch kommt.«
»Mir ist egal, ob Alicia kommt«, antwortete Daniel. »Kommt Alicia denn?«
»Ja.«
»Aber ich
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