Kalix - Die Werwölfin von London
annahm, immer um irgendeine Rechnung, die man vergessen hatte zu bezahlen. Dieses Mal allerdings ging es um eine große Kiste. Vielleicht hatte ihre Schwester Delicious etwas bestellt und vergessen, ihr davon zu erzählen. Sie unterschrieb den Auftrag und nahm dem Lieferanten die Kiste ab. Sie hob sie bequem mit einer Hand hoch, obwohl der Kurier sie nur mit Mühe hatte tragen können.
Delicious kam ein paar Minuten später ins Wohnzimmer.
»Was gibt's zum Frühstück?«, fragte sie.
»Whisky«, antwortete ihre Schwester.
»Echt? Wie kommt's?«
»Die Herrin der Werwölfe hat uns eine Riesenkiste geschickt.«
Delicious stürzte sich mit einem Freudenschrei auf die Kiste mit MacRinnalch-Whisky. Zweiundsiebzig Flaschen. Der MacRinnalch, ein sehr erlesener Malt-Whisky, wurde vor allem auf den Ländereien des Clans getrunken und niemals frei verkauft. Er gehörte zu den wenigen Dingen aus der Heimat, die die Zwillinge wirklich vermissten.
»Warum sollte Verasa uns ein Geschenk schicken?«, überlegte Beauty.
121
»Wen interessiert's?«, antwortete Delicious, die bereits trank. »Es ist ein gutes Geschenk.«
»Allerdings«, stimmte Beauty ihr zu. »Ein hervorragendes Geschenk. Den habe ich vermisst.«
Die Schwestern machten sich ans Trinken. Hätte Verasa die Szene beobachten können, wäre sie erfreut darüber gewesen, wie sehr die Zwillinge ihr Geschenk zu schätzen wussten.
60
Die Zauberin war bass erstaunt, als sie eine Mail von der Feuerkönigin bekam.
Malveria? An einem Computer? Kaum zu glauben. Welche Krise konnte sie nur zu einer solchen Maßnahme getrieben haben?
Von Malveria, Feuerkönigin der Hiyastas, Herrin der Vulkane, Beschützerin der Flamme, Gebieterin des Infernos, Herrscherin über das brennende Element, Peinigerin der Menschheit, Bezwingerin der Eiszwerge, Zerstörerin der Eisernen Riesen ...
Thrix übersprang den restlichen Absatz. Die komplette Liste von Malverias Namen und Titeln konnte recht erschreckend wirken.
Liebste Thrix, verehrteste aller Werwölfinnen, hochgeachtete und treueste Freundin. Wieder einmal hast Du mich auf den Pfad der Verdammnis geführt und mich in die Hallen voll Spott und Hohn gesandt, deren oberste Herrscherin Prinzessin Kabachetka ist. Erneut habe ich die unauslöschliche Qual erlitten, nicht modische Wegbereiterin zu sein, sondern bloßes Gefolge der Prinzessin ...
Die Mail ging so noch eine Weile weiter, lief aber, das wurde Thrix rasch klar, darauf hinaus, dass Malveria wieder bei einem wichtigen gesellschaftlichen Ereignis auf Prinzessin Kabachetka getroffen war, die das gleiche Kleid wie sie trug. Thrix runzelte
122
düster die Stirn. Das war ernst. Vielleicht nicht ganz so katastrophal, wie die Feuerkönigin es hinstellte, aber auf jeden Fall ernst. Thrix fertigte für Malveria exklusive Entwürfe an, und es war unerklärlich, wie es Kopien davon geben konnte.
Meine junge menschliche Freundin hat angedeutet, es könnte einen Spion in Deinem Modehaus geben, schrieb Malveria weiter. Ich vertraue darauf, dass Du dieses jämmerliche, verachtenswerte, verräterische, bösartige Geschmeiß so rasch wie möglich ausfindig machst. Hast Du in der Burg einen netten Werwolf kennengelernt, meine Liebe? Deine Einsamkeit bereitet mir wirklich Kummer.
Thrix wurde plötzlich unterbrochen, als jemand mit Gewalt versuchte, ihr Zimmer zu betreten. Sie versetzte ihren Laptop rasch in den Ruhemodus und ging zur großen Holztür, die sie mit einem Schließzauber versperrt hatte.
»Was gibt es, Bruder?«, rief sie.
»Mach die Tür auf«, verlangte Sarapen.
»Weißt du nicht mehr, wie man anklopft?«
»Mach die Tür auf, oder ich reiße sie aus den Angeln.«
Der Sonnenaufgang war noch etwa eine Stunde entfernt. Thrix und Sarapen hatten beide ihre Wolfsgestalt angenommen. Thrix glaubte zwar nicht, dass Sarapen ihren Schließzauber durchbrechen konnte, aber sie war sich nicht sicher. Sie rief sich ein paar andere Zaubersprüche ins Gedächtnis, falls sie sich verteidigen musste.
»Schämst du dich, mir gegenüberzutreten, nachdem du für meinen Bruder gestimmt hast?«
»Ich schäme mich für gar nichts«, antwortete Thrix und murmelte das Wort, das den Schließzauber aufhob. Die Tür flog auf, und Sarapen marschierte in ihr Zimmer.
»Wie schön, dich zu sehen, Bruder. Hast du etwas auf dem Herzen?«
»Wie kannst du es wagen, gegen mich zu intrigieren, Zauberin?«
123
»Ich habe nicht intrigiert. Ich habe gewählt. Und ich kann wählen, wie ich
Weitere Kostenlose Bücher