Kalle Blomquist
in der Luft hängen würde. Und wenn nicht dort am Straßenrand ein kleines feuchtes Taschentuch liegen würde. Eva-Lottes Taschentuch.
»Ob sie Eva-Lotte rauswerfen, wenn sie sie entdecken?« fragt Anders.
»Die werden sich hüten«, murmelt Kalle, »den einzigen Augenzeugen, den es ihrer Meinung nach gibt, in Freiheit zu setzen.«
Unten schläft die Stadt. Sie wird bald erwachen. Die ersten Sonnenstrahlen blitzen bereits auf den vergoldeten Turmspitzen des Rathauses.
»Guter Moses!« sagt Kalle und schüttelt sich.
»Ja, du guter Moses!« sagt Anders. »Worauf wartest du noch, Kalle? Bist du nun Meisterdetektiv Blomquist oder nicht?«
VIERTES KAPITEL
In Windungen und Bogen tastet sich die Straße weich durch die grüne Sommerlandschaft. Zwischen weißen Birkenstämmen läuft sie vorbei an kleinen, runden Hügeln, an kleinen, blitzen-den Seen, an kleinen Kieferngehölzen, an blühenden Waldlich-tungen, an grünen Wiesen und an sich wiegenden Kornfeldern.
Auf vielen krummen Wegen kommt sie so langsam an die Küste zum Meer. Diese Straße entlang rast an diesem herrlichen Sommermorgen ein großes schwarzes Auto, das mit wilder Geschwindigkeit um die Kurven schleift und Steinchen und Staub über die gelben Blumen an den Straßenkanten wirft. Es ist ein ganz gewöhnliches Auto. Aber ein aufmerksamer Beobachter könnte doch eine Besonderheit an dem Wagen finden. Er hinterläßt nämlich so merkwürdige Spuren – und nicht von den Reifen.
Durch das offene Seitenfenster reckt sich dann und wann eine Mädchenhand, und später kann man auf dem kiesigen Straßen-grund kleine rote Papierstückchen oder auch manchmal weiße Milchbrötchenkrümel entdecken. Ja, haargenau: Milchbrötchenkrümel! Denn Eva-Lotte ist ja nicht für nichts und wieder nichts die Tochter eines Bäckers. Sie hat sich, bevor sie wegging, ein paar Milchbrötchen in die Kleidertaschen gesteckt. Die roten kleinen Papierstückchen sind Teile eines Plakates. Sie hat es von einem Telegraphenmast heruntergerissen, bevor sie zu dem schlafenden Rasmus in das Auto schlüpfte. GROSSES SOM-MERFEST stand in schwarzen Buchstaben auf dem Plakat.
TOMBOLA TANZ KAFFEEPAUSE. Gott segne Kleinköpings Sportverein für dieses Plakat!
Die Fahrt wird lang werden, und wie lange reichen denn einige Milchbrötchen? Bald muß Eva-Lotte anfangen, sie und die Plakatstückchen zu rationieren. Bei jeder Weggabelung muß ein leuchtendroter Zettel liegen. Wie können wohl sonst die Retter wissen, welchen Weg sie nehmen sollen?
Werden übrigens Retter kommen? Wenn nicht, wie wird dann dieses Abenteuer enden? O Anders! O Kalle …
Eva-Lotte sieht sich im Auto um und macht sich innere No-tizen. Dort neben ihr im hinteren Sitz hockt immer noch gebunden und mit einem Knebel im Mund der Professor, und seine Augen sind voller Verzweiflung. Neben ihm sitzt der, der das Auto so treu und brav bewacht hat. Im Vordersitz sieht sie den sogenannten Nicke mit dem schlafenden Rasmus im Arm. Am Steuerrad neben ihm sitzt der andere Fassaden-kletterer – Blom heißt er, Eva-Lotte hat es schon gehört. Sie nimmt alles mit ihren Augen auf und läßt die Blicke dann durch die Fensterscheibe weiterwandern. Sie rasen durch eine schwedische Sommerlandschaft, da gibt es keinen Zweifel.
Die reifen Roggenfelder mit den Kornblumen und dem Mohn darin, das ist ja wohl schwedisch. Und die weißen Birkenstämme auch. Nur dieses Auto und seine wunderlichen Passa-giere gehören nicht hierher. Die gehören in einen amerikani-schen Gangsterfilm.
Eva-Lottes Herz klopft tatsächlich etwas schneller, wenn sie daran denkt, daß die drei fremden Männer im Auto wirklich und wahrhaftig Kidnapper [1] sind – es wirkt direkt lächerlich in dieser sonnigen schwedischen Landschaft! Kidnapper, die fahren ja doch wohl ausschließlich in strömendem Regen und an dunklen Herbstabenden in Chicago herum!
Nicke fühlt sicher ihren mißbilligenden Blick im Nacken, denn er dreht sich um und glotzt sie unzufrieden an.
»Wer, zum Donnerwetter, hat dich eigentlich gebeten, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen?« sagt er. »Warum bist du in das Auto gekrochen, dummes Lamm, du?«
Eva-Lotte hat Angst. Größer aber ist ihre Wut. Und sie denkt nicht daran, einen solchen Hundsfott merken zu lassen, wie groß ihre Herzensangst ist.
»Kümmere dich nicht um mich«, sagt sie. »Es ist ratsamer für dich, du überlegst, was du sagen wirst, wenn die Polizei kommt, um dich zu schnappen.«
Der Professor bekommt aufmunternde Augen,
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