Kalle Blomquist
Es wird eine Zeit dauern, bis die Rosen sich wieder treffen werden.
DRITTES KAPITEL
Glücklich und zufrieden wanderten die drei Weißen Rosen heimwärts. Die Nacht hatte ihnen allerlei beschert, aber Anders’
Abenteuer hatte ihr Gleichgewicht nicht durcheinanderge-bracht. Solange Anders auf dem Busch gesessen hatte, waren sie vor Angst außer sich gewesen. Aber wozu mußte man hinterher noch Angst haben? Es war doch alles gutgegangen, und Anders hatte wahrhaftig keinen Nervenschock davongetragen. Er nahm sich gar nicht erst vor, wegen dieses kleinen Erlebnisses Alp-träume zu haben. Er gedachte, nach Hause zu gehen, ruhig zu schlafen und voller Vertrauen am nächsten gefährlichen Tag aufzuwachen. Aber in den Sternen stand geschrieben, daß keine der Weißen Rosen in dieser Nacht Schlaf finden sollte.
Im Gänsemarsch liefen sie den kleinen, schmalen Pfad zur Stadt zurück. Besonders müde waren sie nicht, aber Kalle gähnte doch sehr lange und laut und sagte, das Schlafen in der Nacht sei bei vielen Leuten tatsächlich richtig populär geworden, und man könnte es ja schließlich auch einmal versuchen, um zu sehen, was »da eigentlich dran« sei.
»Dem Rasmus gefällt es bestimmt«, flüsterte Eva-Lotte zärtlich und blieb stehen. Sie waren im Wald neben Eklunds Villa angelangt, kurz bevor der Pfad auf den Fahrweg mündete, und konnten das Haus durch die Bäume sehen. »Oh, wie wird Rasmus süß aussehen, wenn er schläft«, fuhr Eva-Lotte fort.
»Nein, nein, nein, Eva-Lotte«, sagte Anders beschwörend,
»fang doch bitte nicht wieder damit an!«
Sicher schliefen Rasmus und sein Vater um diese Zeit in ihrem einsamen Haus. Im oberen Stockwerk stand ein Fenster offen, und eine weiße Gardine wehte leicht, als wollte sie den drei Nachtwanderern unten auf dem Pfad nur schnell einmal zuwin-ken. So still, so leise war es, daß Anders unwillkürlich die Stimme gesenkt hatte, um die Menschen, die dort oben hinter der leicht wehenden Gardine schliefen, nicht zu wecken.
Aber es gab jemand, der weniger rücksichtsvoll war, wenn es anderer Menschen Schlaf galt. Jemand, der Auto fuhr. An- und abschwellendes Brummen fraß sich in die Stille, man konnte den Gangwechsel hören. Dann wurde nervenaufpeitschend ge-bremst – und dann war alles wieder wie zuvor: nur Stille.
»Wer, zum Teufel, kutschiert um diese Zeit mit dem Auto hier herum?« wunderte sich Kalle.
»Was geht’s dich an?« sagte Anders kurz. »Komm jetzt.
Worauf warten wir eigentlich?«
Aber tief, tief unten in Kalles Seele reckte Meisterdetektiv Blomquist hellwach seinen Kopf in die Höhe. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in welcher Kalle ausschließlich »Herr Karl Blomquist, Meisterdetektiv« gewesen war: der scharfsinnige, unbestechliche Meisterdetektiv, der über die Sicherheit der Stadt wachte und seine Mitmenschen hauptsächlich in zwei Ka-tegorien, »die Verhafteten« und »die noch nicht Verhafteten«, einteilte. Aber inzwischen war auch Kalles Verstand gewachsen, und jetzt kam es nur bei ganz bestimmten Begebenheiten vor, daß er sich wie ein Meisterdetektiv fühlte. Und hier war eine solche Begebenheit. Tatsächlich:
Hier war eine solche Begebenheit!
Wo will er hin, der im Auto kommt? Hier oben gibt es nur ein Haus, Eklunds Villa. Wie ein vorgeschobener Posten liegt sie ein weites Stück über allen übrigen Häusern der Stadt. Es kann nicht sein, daß der Professor jetzt Besuch erwartet: Das Haus schläft doch. Kann in dem Auto ein verliebtes Paar sitzen?
Ein Paar, das hier heraufgefahren ist, um den Mond anzu-schwärmen? Lokalkenntnis fehlt ihnen dann aber. Der richtige Schwärmplatz der Stadt liegt genau in entgegengesetzter Richtung. Und man muß schon vor lauter Liebe geistig ziemlich umnachtet sein, wenn man sich diesen steilen, schmalen und krummen Weg zu einer Autoschwärmerei ausgesucht hat. Aber wer ist es dann, der mit dem Auto hier heraufkommt? Kein echter Detektiv kann diese Frage ungelöst liegenlassen. Das geht einfach nicht.
Sie waren an den Fahrweg gekommen.
»He, hört mal, können wir nicht noch ein Weilchen warten, um zu sehen, wer kommt?« fragte Kalle.
»Warum bloß?« fragte Eva-Lotte. »Glaubst du im Ernst, hier laufen Mondmörder herum?«
Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als vor dem Zaun der Villa, ungefähr fünfundzwanzig Meter von ihnen entfernt, zwei Männer auftauchten. Man konnte die Gartentür schwach in ihren Angeln quietschen hören, als die beiden vorsichtig die Tür öffneten und hineingingen. Ja,
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