Kalle Blomquist
und das stärkt ihren Mut. Sie ist dankbar, daß er hier ist, wenn er auch hilflos ist. Auf jeden Fall ist er ein Erwachsener, der auf ihrer Seite steht.
Nicke verzieht den Mund, aber er sagt nichts und dreht sich wieder um. Er hat einen dicken Nacken und helles Haar, das geschnitten werden müßte, denkt Eva-Lotte. Ganz feine helle Härchen wachsen bis unter den Hemdkragen. Wie sieht er übrigens sonst aus? Personalbeschreibung, denkt Eva-Lotte. Kalle, wenn er hier wäre, hätte sofort damit angefangen. Am besten, sie macht es jetzt für ihn. Dann kann sie damit der Polizei helfen. Das heißt, wenn sie jemals Gelegenheit haben wird, ihre Beobachtungen an die Polizei weiterzugeben.
Er hat ein Paar gutmütige Augen, dieser Nicke, und ein häßliches, sommersprossiges Gesicht. Jawohl, die Augen sind gutmütig, wenn er auch gerade jetzt recht mürrisch dreinblickt. Er sieht nicht besonders ungezogen aus und nicht besonders begabt, denkt Eva-Lotte weiter und schmeichelt sich, daß ihre Personalbeschreibung viel ausführlicher ist als eine von Kalle, der nur von der Augenfarbe spricht, aber niemals vom Charakter. Na, und die beiden anderen dann? Blom ist dunkel und sieht schlapp aus, bleich und finnig, ein richtiger Heini, denkt Eva-Lotte, macht für Geld sicher alles, was man von ihm will.
Und der im Rücksitz ist dem Idiotenstadium wohl am nächsten.
Er ist ein vollkommenes Nichts mit fast gar keinem Kinn und weniger Intelligenz, als auf dem Nagel eines kleinen Fingers Platz hat. Was in aller Welt hat diese drei Unterweltler dazu gebracht, sich auf Menschenraub zu legen? Irgendein Gedanke muß schon dahinterstecken, obwohl keiner der drei aussieht, als könne er überhaupt denken. Aber es kann ja hinter ihnen einer stehen, der für sie denkt, ein anderer, der woanders wartet.
So – nun schwenkt das Auto plötzlich in einen holprigen kleinen Waldweg ein. Eva-Lotte hat es sehr eilig, eine ganze Menge Zettelchen und Krümel zu verstreuen. (Oh, daß bloß keiner der Gauner es sieht!) Denn hier könnten die Retter leicht auf einen falschen Weg kommen. Wo sie jetzt fahren, ist nämlich gar kein richtiger Weg mehr, und sicher ist hier auch noch kein Auto gefahren. Wie das Auto auf dem unebenen Pfad hopst, und wie es gerüttelt wird! Es wird so gerüttelt, daß Rasmus aufwacht. Zuerst öffnet er nur halb die schläfrigen dunklen Augen, dann aber setzt er sich auf und starrt Nicke an.
»Wolltest du nicht zu uns kommen und unseren Küchenherd in Ordnung bringen, oder … oder …?«
Hilflos bricht er ab. Eva-Lotte streckt die Hand vor und streichelt ihm das Kinn.
»Ich bin ja hier«, sagt sie. »Bist du nicht froh, daß ich hier bin? Dein Vater ist auch hier, wenn er auch …«
»Wohin fahren wir denn, Eva-Lotte?« fragt Rasmus.
Nicke antwortet für Eva-Lotte. »Wir machen eine kleine Autofahrt«, sagt er mit einem breiten Lachen. »Nur eine kleine Autofahrt.«
»Wolltest du nicht zu uns kommen und unseren Küchenherd in Ordnung bringen?« will Rasmus noch immer wissen. »Vati, ist er das?« Aber Vati antwortet nicht – er kann ja nicht.
Nicke findet die Frage einfach köstlich. Er lacht noch lauter.
»Küchenherd in Ordnung bringen … Nee, Häschen, diesmal nicht.«
Es ist, als hätte ihn Rasmus’ Frage in gute Laune gebracht. Er setzt Rasmus bequemer auf sein Knie und fängt plötzlich an zu singen:
»Der Graf hatte einen kleinen Hund.
Trülle war sein Name und …«
»Und du, wie heißt du?« wundert sich Rasmus.
»Ich heiße Nicke«, sagt Nicke mit einem Grinsen. »Nicke ist mein Name, und …« singt er donnernd los.
»Ich finde, du könntest endlich unseren Herd heil machen«, sagt Rasmus. »Aber wie Vater ja immer gesagt hat – nur Versprechungen und Versprechungen; aber daß mal was daraus wird …!«
Eva-Lotte sieht bekümmert zum Professor. Er denkt sicher an andere Sachen als an kaputte Küchenherde. Sie klopft ihm ermunternd auf den Arm, und er dankt ihr mit den Augen.
Dann wirft sie vorsichtig den letzten roten Zettel aus dem Fenster. Er flattert so spielerisch im Sonnenschein, bevor er zur Erde fällt und liegenbleibt. Wird ihn jemand finden? Und wann?
FÜNFTES KAPITEL
»Nein, nein, nicht zur Polizei rennen«, sagte Kalle. »Dazu haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen zuerst die Kerle verfolgen und sehen, wo sie bleiben.«
»Fein«, sagte Anders, »und logisch! So ein Auto hat ja gar keine Chance, wenn ein Sprinter wie du ihm nachsetzt.«
Kalle beantwortete diese dumme Bemerkung nicht.
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