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Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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Er lief durch den Garten und zu dem Motorrad des Professors.
    »Komm!« rief er. »Das hier nehmen wir!«
    Anders sah ihn mit schreckgemischter Bewunderung an.
    »Wir können doch nicht …« fing er an, aber Kalle unterbrach ihn.
    »Wir
müssen
«, sagte er kurz. »Das hier ist eine sogenannte Notlage. Da kann man sich nicht hinsetzen und lange über Füh-rerscheine grübeln. Es gilt doch Menschenleben, Anders!«
    »Hm, und übrigens fährst du ja fast besser als dein alter Herr!« sagte Anders.
    Sie schoben das Rad auf die Landstraße. Dort waren im Sand noch einige undeutliche Abdrücke von Autoreifen zu sehen, die einzige Spur, die von den Kidnappern hinterlassen worden war.
    Das schwarze Auto war lange fort.
    »Eva-Lotte sagte ja, sie würde es wie Hänsel und Gretel machen«, schrie Kalle, als das Motorrad die Straße hinunterraste.
    »Wie haben das Hansel und Gretel übrigens gemacht?«
    »Streuten Brotkrümel hinter sich«, schrie Anders. »Und auch Kieselsteine.«
    »Ja, wenn Eva-Lotte Kieselsteine mit in das Auto genommen hat, ist sie noch seltsamer, als ich dachte«, rief Kalle. »Aber irgendwie sieht es ihr auch wieder ähnlich. Sie denkt sich immer so etwas aus.«
    Sie kamen zur ersten Wegkreuzung, und Kalle bremste.
    Welchen Weg? Welchen Weg?
    Dort war ein roter Zettel zu sehen. Das Stückchen Papier hatte sich im Gras an der Straßenkante verfangen. TANZ stand darauf.
    Nun liegen ja aber immer allerlei Papierfetzen an den Straßenkanten, und deshalb beachteten sie diesen nicht besonders. Ein Stück weiter lag etwas anderes. Ein Stück Weißbrot, aus einem Milchbrötchen herausgebrochen. Mit einem Triumphgeschrei zeigte Anders darauf. Eva-Lotte machte es wirklich wie Hansel und Gretel! Da lag, einige Meter weiter, noch ein rotes Papierstück.

    Dann mußten diese Schnitzel ja wohl auch etwas bedeuten.
    Sehr ermuntert steuerten sie auf die Straße, die sich bergab schlängelte. Ihre Müdigkeit hatten sie vergessen. Es wäre un-ehrlich zu sagen, daß sie bei guter Laune waren, aber in all ihrer Unruhe und Angst fand sich auch eine merkwürdige, fast heitere Anspannung. Das Motorrad knatterte so wunderbar gleichmä-
    ßig unter ihnen und schluckte ohne Zaudern Kilometer nach Kilometer des geschlängelten Weges, der sie einem geheimnisvollen Ziel entgegenführte, einem Ziel, an dem unbekannte Gefahren lauerten. Die Gefahr in Verbindung mit der Freude an der Fahrt bewirkte sicher diese seltsame Anspannung bei ihnen.
    Sie starrten auf die Straße vor sich. Hier und dort lag ein rotes Zettelchen wie ein kleiner freundlicher Gruß von Eva-Lotte.
    An der Abzweigung des Waldweges wäre es beinahe schiefge-gangen. Sie erreichten ihn und fuhren an ihm vorbei. Er war ja auch so unbedeutend, daß man ihn leicht übersehen konnte.
    Aber Anders entdeckte einen wohlbekannten roten Zettel, der durch die Kiefern winkte.
    »Stopp, stopp«, schrie er, »wir fahren falsch! Unsere Gangster sind in den Wald hinein!«
    Einen freundlicheren Waldweg konnte es wirklich nicht geben. Zwischen den Bäumen huschten die Strahlen der Morgensonne hindurch. Sie schienen auf das dunkelgrüne Moos des Bodens und auf die kleinen Blumen dazwischen. In der Nähe, auf einer Tannenspitze, trillerte ein Vogel seinen Morgengruß so entzückt in die Welt hinein, als gäbe es keine Bosheit.
    Als aber Kalle und Anders zwischen die Kiefern hineinsteuer-ten, spürten sie deutlich, daß der Vogel unrecht hatte. Sie spürten in jeder Fiber ihres Körpers, daß sie sich schnell etwas Bösem und Drohendem näherten. Dieses Böse und Drohende hatte mit Sonne, Blumen und Vogelsang nichts zu tun.
    Es ging abwärts. Abwärts. Abwärts. Da schimmerte etwas Blaues zwischen den Bäumen hindurch: das Meer! Dann kam ihnen eine alte verfallene Landungsbrücke entgegen, und – ihre Fahrt war zu Ende. Am äußersten Ende der Brücke fanden sie den letzten Gruß von Eva-Lotte, ihre rote Haarspange.
    Sie standen da und sahen nachdenklich über den Fjord hinaus. Die dünnen Morgennebel hoben sich, und die Sonne spielte auf der Wasserfläche, die der Morgenwind sacht kräuselte.
    Wie still hier alles war! Wie tot. So leer wie am ersten Schöp-fungstag, bevor sich Menschen auf der Welt einfanden.
    Grüne Inseln und kahle Klippen beengten den Blick zum Horizont. Man hätte glauben können, diese kleine, schmale blaue Meeresbucht sei ein Binnensee. Einige hundert Meter vor der Brücke lag eine große Insel und verdeckte die Ausfahrtrinne zum offenen Meer. Eine große,

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