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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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»Also bist du aufgrund deiner Studien und deiner Erfahrung befähigt, ihr Geständnis abzunehmen, wenn auch nicht nach dem Kirchengesetz ...«
    Kurz darauf tauchte er aus seinen Gedanken wieder auf und sagte zu Michel: »Ich habe einen Plan: Wir werden die Äbtissin gemeinsam aufsuchen. Wenn sie in meiner Gegenwart gestehen will, ist alles schön und gut. Doch falls sie nur dir gestehen will, werde ich mit den anderen Gefangenen fortfahren und meinen ganzen Einfluss geltend machen, damit du vom heutigen Tage an ordiniert wirst. Ich bin bereits Priester; da ist es weitaus angemessener, wenn ich beim Bischof darum ersuche und nicht ein kleiner Mönch wie du. Er ist nicht besonders angetan von dir, und vielleicht kann ich ihn leichter überreden ...«
    »Gewiss«, erwiderte Michel gedehnt und überhörte Thomas' Seitenhieb, während er mit ernster Miene so tat, als zögerte er noch. In Wahrheit war sein Herz voller Dankbarkeit. Noch nie hatte Gott so nachhaltig auf eines seiner Gebete reagiert.
    Zugleich flüsterte seine innere Stimme: Oder hat etwa die Hexe mir den Weg bereitet,,?
    Vater Thomas' Rosmarinzweig kam gegen den Gestank nicht an, der ihnen beim Hinabsteigen in den Kerker entgegenschlug. An diesem Morgen roch es besonders durchdringend - wie stets, wenn die Folter ernsthaft begonnen hatte. Es war der Geruch von Blut - Blut im Kot, im Urin, im Erbrochenen - getrocknetes Blut auf der Haut, im Stoff und im Haar.
    Der Kerker war diesmal heller, dank einiger zusätzlicher Kerzen, die man angezündet hatte ... vielleicht um den Folterknechten aus Paris gefällig zu sein, die man hinter den hohen Doppeltüren ihrer grässlichen Kammer reden und lachen hörte. Michel hielt den Kopf gesenkt, schaute jedoch unwillkürlich in die Gemeinschaftszelle und erhaschte einen kurzen Blick auf mehrere Haufen von rot durchtränktem Leinen auf dem Stroh. Wieder öffnete der Kerkermeister die Einzelzelle der Äbtissin und schloss gar nicht erst hinter sich ab, als er hinausging, um auf Vater Thomas' Bitten hin zwei Schemel zu holen.
    Mutter Marie Francoise saß auf der hängenden Holzpritsche. Die Wunden vom Vortag sahen noch schlimmer aus: Der tiefe Schnitt, der ihre Augenbraue gespalten hatte, war rot-blau verkrustet, das Augenlid darunter tief violett und so stark geschwollen, dass es von der Seite betrachtet ihren Nasenrücken überragte; vom Auge war nur ein dunkler, glitzernder Schlitz zu sehen. Ihre Oberlippe war aufgequollen und rot-violett gesprenkelt.
    Doch seitdem hatte man ihr keinen weiteren körperlichen Schaden zugefügt. Ihre Stimme war kräftig, wenn sie auch vor Wut und Kummer bebte.
    »Meine Schwestern ...«, begann sie schon herausfordernd, als der Kerkermeister noch die Schemel für die Männer brachte.
    Thomas zog den seinen ohne Furcht nah an die Äbtissin heran und nahm mit äußerst berechnender, ungerührter Miene Platz. Michel ließ sich auf dem Schemel daneben nieder, schräg hinter dem Priester. Trotz der entstellenden Wunden der Äbtissin regte sich in Michel die Leidenschaft seines Traums aufs Neue.
    Mit heißen Ohren versuchte er krampfhaft, sowohl seine Lust als auch seine Schamgefühle zu beherrschen. Sollte Satan doch versuchen anzugreifen, wenn er wollte. Er, Michel, würde seine Gedanken auf Gott richten, auf die anstehende, heilige Aufgabe.
    »Meine Schwestern«, wiederholte Mutter Marie mit einer anderen Leidenschaft. »Zwei Tage höre ich sie nun schon schreien. Warum muss man sie so quälen, wenn ich diejenige bin, die man eines Verbrechens bezichtigt?« Mit der einen Hand hielt sie sich die Rippen, mit der anderen deutete sie in einer heftigen Bewegung auf sich. »Doch seit der Ankunft Eurer Inquisitoren hat mich niemand angerührt. Ich war diejenige, die man im päpstlichen Palast entdeckt hat, nicht sie. Ich war diejenige, die ...«
    »Spielen wir uns hier nicht so auf, Mutter Marie«, unterbrach Thomas sie ruhig, aber direkt. »Es gibt nur zwei Wege aus Eurer jetzigen misslichen Lage und der Eurer Nonnen: Tod und Verdammnis oder ein Geständnis, welches zu ewigem Leben führt und uns der Notwendigkeit enthebt, Eurer Schar Auskünfte abzuringen. Leider hat uns der Kardinal nicht viel Zeit gegeben. Bruder Michel hier«, fuhr Thomas fort und deutete mit einem Kopfnicken auf den Mönch, »hat mich bereits darüber in Kenntnis gesetzt, dass Ihr das Euch vorgelegte Geständnis nicht zu unterzeichnen bereit seid. Ist das richtig?«
    Sie warf Michel einen verärgerten Blick zu, dann sah sie

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