Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon
sagen >Er gehört mir, ganz allein mir!< Möge Gott meiner Seele gnädig sein!«
Er hustete heftig. Michel half ihm, sich aufzusetzen, dann langte er, einen Arm um den Priester gelegt, nach dem Taschentuch, das der andere Mönch auf dem Tisch hatte liegen lassen, und hielt es dem Priester vor den Mund. Der Hustenanfall wollte nicht enden, und Charles gurgelte und röchelte. Als es vorbei war, nahm Michel das Taschentuch fort - durch und durch gefährlich hellrot gefärbt - und schob dem Kranken die Kissen in den Rücken, damit er leichter atmen konnte. »Der Herr segne dich, Michel«, brachte der Priester in einem kurzen, klaren Moment hervor. »Du bist wirklich wie ein Sohn zu mir ...«
Michel richtete sich auf, nahm den Rosenkranz an seinem Gürtel in die Hand und kniete nieder. »Ich werde für Euch beten, Vater. Wenn Ihr imstande seid, betet mit mir ... Heilige Jungfrau, bittet für Euren Diener Charles, dass sein Leiden ein Ende haben und er wieder gesund werden möge. O Heilige Mutter Gottes ...«
»Sie!«, Vater Charles bäumte sich im Bett auf, die Augen wie ein Wahnsinniger aufgerissen. »Sie hat mir das angetan!«
Bestürzt über dieses Sakrileg bekreuzigte sich Michel. »Das alles ist ihr Werk, erkennst du es denn nicht?«, fuhr Charles völlig außer sich fort und spie Michel dabei ins Gesicht. »Teil ihrer Hexerei!«
Erst jetzt wurde Michel klar, dass der Priester die Äbtissin meinte, nicht die Heilige Mutter Gottes. Nach außen hin blieb er ruhig, als er aufstand und Charles fest, aber liebevoll in die Kissen zurückdrückte.
»Keine Sorge, Vater. Gott ist stärker als der Teufel. Er wird uns schützen und Euch heilen.«
»Gott und der Teufel haben damit nichts zu tun!«, tobte der Priester, die Armmuskeln angespannt, die funkelnden Augen weit aufgerissen. »Du weißt nicht, wie stark sie ist, oder wie verzweifelt ... Ich war ein Dummkopf, ich dachte, ich könnte sie davon abhalten, zu sehen ... Und der Bischof, der Bischof - du musst vorsichtig sein, du kannst niemandem trauen - Chretien würde dich ohne zu zögern aus dem Weg räumen. Ich kann es nicht aufhalten - was für ein anmaßender Dummkopf ich doch bin! Kannst du mir verzeihen? Kannst du das?«
Schließlich begann er so jämmerlich zu weinen, dass Michel sagte: »Gewiss verzeihe ich Euch. Gewiss. Jetzt kommt zur Ruhe. Ihr dürft so etwas nicht über Euch oder den guten Kardinal sagen.« Er drückte Charles erneut in die Kissen zurück und murmelte: »Ruhig, Vater, ruhig ...«, bis der Priester schließlich die Augen verdrehte, die Lider herabfielen und sein Körper schlaff auf das Bett sank. Plötzlich durchlief den alten Mann ein Zucken. Eine stinkende Mischung aus Blut und grünlich gelber Galle ergoss sich auf seine Brust. Michel nahm ein Tuch, das neben der Waschschüssel lag, und tupfte die Flüssigkeit sorgfältig ab. Die nächste Stunde saß er auf dem Hocker und wischte den roten Schaum ab, der dem Kranken immer wieder auf die Lippen trat, während ein anderer Dominikaner ans Bett kam und ihm die Letzte Ölung erteilte. Nachdem der Priester gegangen und Charles noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen war, sank Michel auf die Knie und betete.
Am nächsten Morgen, der segensreiche Kühle mit sich brachte, überließ Michel den aschfahlen, teilnahmslosen Priester der Pflege der Dominikaner und begab sich zurück zum Gefängnis, ausgerüstet mit mehreren unbeschrifteten Wachstafeln und den restlichen, nicht unterzeichneten Geständnissen. Er hatte die Nacht auf dem Boden neben Vater Charles' Bett verbracht und mit der Situation gerungen. Er war nur ein Schreiber und hatte nicht die Macht, Gefangene freizusprechen oder für schuldig zu erklären. Dennoch hatte Mutter Marie Francoise betont, sie wolle nur ihm gegenüber ein Geständnis ablegen; und obgleich er über Charles' Krankheit außer sich vor Sorge war, bestand die Möglichkeit, dass Gott damit in gewisser Weise auf sein Gebet zugunsten der Äbtissin reagiert hatte. Nur zu gern würde er Vater Charles (sollte es Gott Wohlgefallen, ihn vom Krankenlager wieder aufstehen zu lassen) vor der Wucht des bischöflichen Zorns bewahren, wenn das bedeutete, dass er Mutter Marie Francoise das ihr zustehende Recht einräumen könnte, ihre böse Magie zu beichten und somit gerettet zu werden. Als er nun müde und langsam die Treppe erklomm, die zum Gefängnis hinaufführte, rief eine Stimme hinter ihm: »Michel! Bruder Michel!«
Er drehte sich um und erblickte einen ordentlich
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