Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon
sie dann am Hexensabbat als Blutopfer auf dem Altar des Teufels vierteilten. Anschließend kochten sie die kleinen Körper ohne Gliedmaßen und verarbeiteten sie zu Fleisch und Seife. Aber auch Geschichten von Hexen, die kleine Kinder aus den Betten holten, ihnen das Blut aussaugten und ihre winzigen Leichen gespenstisch blass zurückließen, fielen ihr ein.
Von Kindern, die verhext und dann wieder ihren Familien zurückgegeben wurden, damit sie, wenn die Unschuldigen alt genug wären, von ihrem Bett aufstünden und ihre schlafenden Eltern für den Teufel hinmetzelten ... Catherine erinnerte sich jetzt auch daran, wie sie hin und wieder aufgewacht war und festgestellt hatte, dass Ana Magdalena mitten in der Nacht verschwunden war. Als sie ihre Schwiegermutter einmal danach gefragt hatte, hatte Ana Magdalena nur beschämt gelächelt und gesagt: Jetzt, da ich älter bin, schlafe ich nicht mehr so gut, und manchmal gehe ich spazieren, damit ich müde werde.
Und wenn diese Geschichten nun alle stimmten? Furcht trieb sie an. Keuchend und vornübergebeugt ging sie langsam auf den Hain in der Ferne zu. Bei Tage galt die Gegend als geheiligt, von der Jungfrau gesegnet, doch nachts wagten nur wenige, den Hain zu betreten, denn es hieß, dann sei er verzaubert. Manche behaupteten, Kobolde übten dort Zauberei aus, entweihten den Marienschrein, trieben allerlei Schabernack, und wenn jemand sie dort fände, werde er verzaubert und dazu verdammt, ewig im Hain umherzuirren.
Der Schmerz in Catherines Leib fing bald an zu pochen, und zwischen den Beinen spürte sie klebrige Nässe. Benommen sank sie auf die Knie und keuchte. Der grasbedeckte Boden vor ihr begann sich langsam zu drehen. Fest kniff sie die Augen zu.
Und als die junge Frau sie wieder aufschlug, erblickte sie eine Gestalt - halb im Licht, halb im Schatten -, die im Mondlicht auf sie zugelaufen kam.
Es war Ana Magdalena, das wimmernde Kind auf den Armen.
»Catherine!«, rief sie, und die junge Frau stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie ihre Tochter lebendig und wohlauf sah.
»Meine Kleine ...« Catherine griff nach dem Mädchen -ein Fehler, denn in ihrer Benommenheit kippte sie vornüber und konnte sich mit ausgestreckten Armen gerade noch davor bewahren, auf das Gesicht zu fallen.
»Catherine.« Endlich kniete Ana Magdalena sich neben sie, das Neugeborene noch immer in den Armen. »Oh, Catherine, mein Liebes, sieh dich doch nur an! Ach, meine Kleine, du blutest ja und zitterst ... Warum bist du denn nicht im Bett geblieben?«
Sie legte ihre kühle Hand auf die Stirn der jungen Frau, und ihre Stimme und ihre Geste waren so zärtlich, so voll ehrlicher Besorgnis, dass Catherine sich schämte, ihr misstraut zu haben. Und dennoch ... Catherine schaute auf die Füße ihrer Schwiegermutter und bemerkte die dunkelvioletten Flecken. Wilde Entschlossenheit vertrieb ihre Benommenheit. Sie stemmte die Fersen in den Boden und zog ihre Tochter aus der Umarmung der alten Frau.
Ana Magdalena entging die Bedeutung des Blicks und der Geste nicht, und sie hob sofort zu einer Erklärung an: »Ich konnte nicht schlafen, mein Liebes, und die Kleine war so unruhig. Damit sie dich oder ihren Vater nicht aufweckte, habe ich sie mitgenommen, um sie zu besänftigen ...«
Catherine zog ihr Unterkleid von den Schultern und brachte das Kind nach einiger Anstrengung dazu zu saugen. Die alte Frau verstummte, und Catherine ignorierte sie kühl. Der Schmerz in ihrem Unterleib wurde durch eine plötzliche, angenehme Kontraktion gelindert. Mehr noch: Eine eigentümliche Intuition hatte sie erfasst. Schließlich schaute sie zu Ana Magdalena auf und sagte mit kalter Entschlossenheit: »Morgen wird sie getauft.«
»Unmöglich«, entgegnete Ana Magdalena, ohne zu zögern. »Morgen kannst du noch nicht aufstehen, selbst wenn nicht wieder Blutungen eingesetzt hätten. Auch wenn du dir nicht zu sehr geschadet hast, solltest du mindestens eine Woche im Bett bleiben ...«
»Sie wird morgen getauft«, wiederholte Catherine ruhig. Sie schaute Ana Magdalena tief in die Augen und wusste, dass die alte Frau die im Blick ihrer Schwiegertochter verborgene Bedeutung kannte, auch wenn Catherine selbst sie nicht ganz verstand.
Du kannst sie nicht haben, Alte. Sie gehört mir, ich werde zusehen, dass es so bleibt, und wenn ich sie weit von uns beiden fortschicken muss.
Doch in Ana Magdalenas Augen glomm eine Entschlossenheit, die ebenso unumstößlich war wie Catherines und die das kleine
Weitere Kostenlose Bücher