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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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deren weiße Tünche zu Grau verblasst war, und die schwachen Umrisse des Olivenhains in der Ferne. In entgegengesetzter Richtung, so weit weg, dass sie nicht größer als ihr Daumennagel erschien, lag die große, von Mauern umgebene Stadt Toulouse.
    Gekrümmt unter den körperlichen Beschwerden stapfte sie in die Nacht hinaus. Sie entdeckte ihr Unterkleid, das an einem Olivenbaum hing, und zog es sich über. Mit jedem Schritt wuchs ihre Furcht. Das Feuer - es war ein Omen gewesen. Sie wäre in den Flammen umgekommen, und die kleine Marie auch, wenn Pierre sie nicht gerettet hätte. Catherine hatte vom ersten Tag ihrer Ehe an versucht, Ana Magdalena zu vertrauen, sie sogar wie ihre eigene Mutter zu lieben, die sie nie gehabt hatte, da diese bei ihrer Geburt gestorben war. Dem Anschein nach kümmerte sich die alte Frau um ihre Schwiegertochter, doch es gab Zeiten, da Catherine sich unwillkürlich vor ihr fürchtete. Ana Magdalena besaß zu viele Kenntnisse in den alten heidnischen Bräuchen, und obwohl sie der Jungfrau Maria treu ergeben schien, nannte sie diese nie beim Namen. La bona Dea, la bona Dea, der italienische Ausdruck für >die geliebte Heilige<, doch der Begriff bedeutete wörtlich >die gute Göttin<, und der Dorfpriester hatte sie vor langer Zeit gelehrt, dass Maria keine Göttin sei, sondern eine Heilige. Sie Göttin zu nennen, sei ein Sakrileg, doch als sie es Pierre gegenüber einmal erwähnte, hatte er nur geantwortet, man verwende den Begriff in Italien für >Maria<, außerdem sei seine Mutter eine gute Frau, und er wolle nichts mehr davon hören, ungeachtet dessen, was der Priester behauptete.
    Dann war da noch die Sache, dass Ana Magdalena Dinge wusste, noch bevor man sie überhaupt ahnen konnte. Oh, die Alte versuchte es zu verbergen, doch Catherine erinnerte sich, wie unergründlich sie gelächelt hatte, als ihre von neuem schwangere Schwiegertochter ihr die Hoffnung auf einen Sohn gestanden hatte. Catherine hatte das seltsame Licht in ihren Augen gesehen und konnte beinahe hören, was sie dachte: Du kannst dir wünschen, was du willst, aber es wird ein Mädchen.
    So war es auch gewesen ... und Ana Magdalena hatte sie Sibilla genannt. Meint sie, ich sei schwer von Begriff, dachte Catherine mit plötzlich aufkeimendem Zorn. Glaubt sie denn, ich wüsste nicht, dass dieser Name >Seherin< oder >Zauberin< heißt... Und Pierre ... Pierre, dessen Mutter nach all den Jahren, die sie schon in Frankreich waren, noch immer darauf bestand, ihn Pietro zu nennen. Glaubte sie denn, sie lebte noch in Italien? Catherine war noch nie in diesem Land gewesen, doch sie hielt es für eine gesetzlose Gegend, in welcher der Teufel herrschte und alle Frauen Hexen waren. Gott sei Dank haben wir jetzt unser eigenes Pontifikat in Avignon, und der Heilige Vater ist ein Franzose ...
    Pierre war wie immer zu nachsichtig mit seiner Mutter gewesen und hatte das Kind Marie Sybille genannt. Catherine blieb stehen. Sie war am Rande der Weide angekommen und sah die abgeernteten Weizenfelder vor sich. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte. Erneut rief sie den Namen ihrer Schwiegermutter, und wieder erhielt sie keine Antwort.
    Wie von einer unsichtbaren Kraft gelenkt, wandten sich ihre Füße in Richtung des Olivenhains. Zögernd setzte sie sich wieder in Bewegung.
    Ein entsetzlicher Gedanke kam ihr: Gott strafte sie, indem er ihr das Kind fortnahm. Hatte sie nicht gesündigt? Hatte der Hebamme gestattet, Zaubermittel anzuwenden und alle möglichen Hexereien auszuführen, damit sie, Catherine, ein gesundes Kind zur Welt brachte? Sie schluchzte laut, denn jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie gerade erst vor zwei Tagen zugesehen hatte, wie Ana Magdalena ein kleines Stoffbündel mit Kräutern unter den Gebärstuhl geschoben hatte.
    Und Gott hatte ein heiliges Feuer herabgeschickt, den Stuhl zu verbrennen, ein Feuer, das die Röcke der Zauberin in Brand setzte und sogar Catherine und das Kind bedrohte. Es war eine Warnung gewesen. Gott!, betete sie, und stumme Tränen rannen ihr über die Wangen, gib mir nur mein Kind gesund zurück, ich werde schon morgen dafür sorgen, dass es getauft wird! Und ich werde nie wieder zulassen, dass diese böse Frau es noch einmal berührt. Ich werde Marie zu einer frommen Christin erziehen ... Alle Horrormärchen, die sie je über Hexen gehört hatte, überfluteten ihre Fantasie und ließen die junge Frau tief aufschluchzen; Geschichten von bösen alten Weibern, die kleine Kinder raubten, welche

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