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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Vergleich zum übrigen Palazzo hatte er etwas Spartanisches an sich. Ich gewann den Eindruck, dass hier wie auch im Vorzimmer viele wertvolle Gegenstände entfernt und woanders eingelagert worden waren.
    Lorenzos Geist war an diesem Tag abwesend. Getrocknete Rosenblätter waren über das Bett gestreut worden und verbreiteten einen lieblichen Duft. Auf einem Schreibtisch daneben standen eine Karaffe mit granatrotem Wein und zwei goldene Kelche mit verschlungenen Mustern eingraviert, nebst einem Teller mit Mandeln und kandierten Früchten.
    »Hilf mir, mich auszuziehen«, sagte ich zu Laura. Wenn diese Aufforderung sie überraschte, dann verbarg sie es geschickt. Ich zog meine Haube und die Ärmel aus, dann band ich mein Gewand auf; ich stieg aus dem schweren Kleidungsstück und sah zu, wie sie es zusammenlegte und mit meinen anderen Sachen in den polierten dunklen Schrank zu Giulianos Kleidern legte.
    Ich hatte nun nichts mehr an außer meiner camicia, zart und rein wie Spinnweben. Zalumma hatte sich große Mühe gegeben, mich auf meine Hochzeitsnacht vorzubereiten, doch ich kämpfte noch, damit meine Nervosität nicht die Oberhand gewann. »Ich möchte jetzt gern allein sein«, sagte ich. »Sagst du meinem Mann, dass ich hier auf ihn warte?«
    Als sie ging, schloss sie leise die Tür hinter sich.
    Ich trat an den Schreibtisch, goss etwas Wein in einen
    Kelch und trank einen Schluck. Ich nippte bedächtig daran und versuchte, seine Köstlichkeit zu genießen, um das Vergnügen und die Freude in mir wachzurufen, mit der ich Giuliano empfangen könnte. Neben der Karaffe lag eine kleine Samttasche; ich nahm sie in die Hand und spürte darin etwas Hartes - Schmuck, vermutete ich, das Geschenk eines Bräutigams an seine Braut. Ich lächelte.
    Als ich aber vor dem Schreibtisch stand, fiel mir unwillkürlich auf, dass ein Gegenstand nicht dorthin gehörte, als wäre der Leser plötzlich weggerufen worden. Das grüne Wachssiegel war erbrochen, sodass der Brief halb geöffnet dalag. Ich hätte ihn vielleicht nicht weiter beachtet, doch mit einem flüchtigen Blick erkannte ich eine vertraute Handschrift, und ich konnte nicht widerstehen, meinen Kelch abzusetzen und den Brief zur Hand zu nehmen.
    Er trug weder eine Unterschrift noch einen Hinweis auf den beabsichtigten Empfänger.
    Ich schätze Eure Bereitschaft, mich von jeglicher formalen Verpflichtung zu entbinden, den Büßer ausfindig zu machen - denjenigen, den Euer Vater als den dritten Mann bezeichnet hat. Ich bin jedoch moralisch gebunden, die Suche fortzusetzen, obwohl es immer unwahrscheinlicher wird, dass der Mann noch lebt. Meine Bemühungen, Mailand auf Eure Seite zu ziehen, sind allesamt gescheitert. Hier ist die Wahrheit über den Tod des Grafen Gian Galeazzo: Die Mörder handelten auf Geheiß seines Onkels Ludovico Sforza, der, ohne eine Pause der Trauer um das Verscheiden seines Bruders einzulegen, sich bereits zum Herzog ausgerufen hat, obwohl Gian Galeazzos junger Sohn der rechtmäßige Erbe ist. Nun, da Ludovico an der Macht ist, könnt Ihr Mailand nicht mehr zu Euren Freunden zählen; das habe ich vom neuen Herzog persönlich erfahren, der mir inzwischen volles Vertrauen schenkt. Er hat Karl und dessen Botschafter gegen Euch aufgehetzt und steht nun kurz davor, Euch zu verraten in der Hoffnung, noch mehr Macht an sich zu reißen.
    Sein Misstrauen gegenüber Florenz ist das Ergebnis jahrelanger geduldiger Arbeit seiner Berater und gewisser Verbündeter. Dies, nebst meiner Untersuchung, hat mich zu dem unwiderlegbaren Schluss geführt, dass unser Ludovico von jenen beeinflusst wird, die mit den piagnoni unter einer Decke stecken.
    Der letzte Satz verblüffte und verwirrte mich. Die piagnoni waren ernsthafte, wenn auch übereifrige Christen. Zwar glaubte Savonarola, König Karl sei von Gott auserwählt, Italien für seine Verruchtheit zu strafen - doch warum sollten sie den Herzog von Mailand beeinflussen wollen? Und wie konnte ein Berater, der Ludovico gegen Florenz aufbrachte, den Autor darauf schließen lassen, die piagnoni seien verantwortlich?
    Noch mehr interessierte mich allerdings die Handschrift
    - deutlich, erstaunlich gerade, das »f« und das »l« lang und geschwungen, das »n« gedrungen und breit. Die Rechtschreibung war unsicher. Es verging eine Weile, bevor mir schließlich einfiel, wo ich sie schon einmal gesehen hatte.
    Herzliche Grüße, Madonna Lisa, aus Mailand. Unser guter Lorenzo hat mir den Auftrag erteilt, Euer Porträt zu malen

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