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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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tippte mir sacht auf die Nasenspitze, als versuchte er, mich von meinem Schmerz abzulenken. »Ich weiß; ich bin dem Mann begegnet. Heute ist er derart außer sich, dass man sich nicht an ihn wenden kann; er ist schockiert und verletzt. Lass ihm Zeit. Mein Mann wartet ein paar Tage ab. Bis dahin werden wir deinen Vater beobachten, um sicherzugehen, dass er keine übereilten Schritte unternimmt.«
    Spione, machte ich mir mit Unbehagen klar. Jemand würde vor dem Haus meines Vaters sitzen, ihn beobachten und alles, was er machte, Giuliano berichten. Es störte und erleichterte mich zugleich. Zumindest könnte mein Vater sich nicht in den Arno stürzen, ohne dass jemand dazwischenging.
    »Mein Mann ist schon älter, ein guter Christ, und wird Ser Antonio mit großem Respekt behandeln. Es war unklug von mir, anzunehmen, man könnte deinen Vater in Versuchung führen, dich für Geld oder Land gehen zu lassen; er ist ein Mann mit Charakter. Ich teile zwar seine Zuneigung zu Fra Girolamo nicht, aber mir ist klar, er braucht eine Gewähr dafür, dass du einen ehrenhaften, frommen Mann geheiratet hast und kein Leben in korruptem Luxus führen wirst, sondern dich Gott und deinem Gemahl hingeben wirst.
    Und, Lisa«, sagte Giuliano sehr ernst, wobei er mir das Gesicht zuwandte; mein Kopf ruhte auf seiner Schulter und dem ausgestreckten Arm. »Ich glaube an Gott und das Bedürfnis nach Rechtschaffenheit, und wenn dein Vater verlangt, dass wir uns Fra Girolamos Predigten anhören, dann soll es so sein.«
    Seine Ernsthaftigkeit rührte mich, doch bei seinen letzten Worten schnaubte ich verächtlich. »Dann musst du allein hingehen«, murmelte ich, obwohl mich seine Worte hoffen ließen. Wenn Giuliano sich dazu herabließe, die Predigt des Todfeindes über sich ergehen zu lassen, würde es meinen Vater bestimmt beeindrucken . und ganz Florenz noch dazu.
    Mein Blick wanderte zu drei bemalten Holztafeln, die die ganze gegenüberliegende Wand einnahmen. Zuvor war ich zu nervös gewesen und hatte nur verschwommenes Rot, Gelb und Schwarz wahrgenommen. Nun erkannte ich, dass sie einen grimmigen Kampf darstellten. Eine spitze Lanze durchbohrte einem Reiter die Brust und hob ihn dabei aus dem Sattel; gefallene Männer und gestürzte Pferde lagen tot oder sterbend zwischen leeren Helmen und fallen gelassenen Schilden. Es war eine schreckliche, chaotische Erinnerung an Verwirrung und Wut. Stirnrunzelnd hob ich den Kopf von Giulianos Schulter.
    »Ah«, sagte Giuliano lächelnd, »dir sind die Gemälde aufgefallen. Es ist Uccellos Schlacht von San Romano, in der Florenz vor einem Jahrhundert Siena besiegte.«
    »Aber es ist so gewalttätig . Jeden Tag muss Lorenzos erster Blick am Morgen und der letzte am Abend auf dieses Bild gefallen sein. Warum will jemand eine so beunruhigende Ansicht in seinem Schlafzimmer haben?«
    Strahlend vor Begeisterung stand Giuliano nackt aus dem Bett auf und trat an die mittlere Holztafel. »Vater gefiel es nicht wegen seiner Gewalttätigkeit, sondern wegen des Kampfgeists, den der Hauptmann, Niccolo da Tolenti-no, zeigt. Er war ein großer Held. Siehst du? Er ist hier in der Mitte als Anführer des Angriffs.« Er zeigte auf einen Reiter - den einzigen ohne Helm - in vorderster Linie, die Lanze auf das Herz seines Gegners gerichtet. »Er ist furchtlos. Trotz der großen Armee, der er gegenübersteht, ist er siegesgewiss. Außerdem ist es ein großartiges Beispiel für die neue Perspektive. Schau hier« - mit Daumen und Zeigefinger maß er einen der Gefallenen ab - »und sieh, wie lang dieser Mann im Verhältnis zum Hauptmann ist.«
    Ich staunte. Der gefallene Mann war nicht einmal halb so groß wie Tolentino. »Er ist so klein!« Ich lachte. »Aber es ist nur sinnvoll; wenn man vor jemandem steht, der liegt, dann sieht dessen Körper kürzer aus, als er ist. Und -schau mal hier. Siehst du, wie klein diese Männer sind, damit sie so aussehen, als wären sie weit weg?«
    Giuliano lächelte zufrieden. »Wenn du keine Frau wärst, dann würde ich sagen, du solltest Künstler werden! Ich wusste nicht, dass du so klug bist. Ja, das ist der Zauber der Perspektive. Und Uccello war einer der ersten, der sie verwendet hat. Vater hatte ein ausgezeichnetes Auge. Piero und Giovanni haben keinen blassen Schimmer von der Kunst, die sie umgibt. Das ist wirklich ein Jammer.«
    »Ser Lorenzo muss dich sehr geliebt haben, dass er dir solche Sachen beigebracht hat.« Ich dachte an Lorenzo, krank und von Feinden verfolgt, der seine

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