Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
stieß meinen Namen hervor und nickte kurz zur Begrüßung, ohne eine Miene zu verziehen.
Mein Vater gab sich die größte Mühe zu lächeln - doch in Anbetracht dessen, was ich von Leonardo erfahren hatte, fiel es mir schwer, ihn anzusehen. Sobald das Essen aufgetragen war, erkundigte er sich nach Matteos und meiner Gesundheit; ich antwortete mit unbeholfener Zurückhaltung. Nachdem diese Nettigkeiten erledigt waren, begann er über Politik zu sprechen, wie er es oft mit Francesco machte, mehr schlecht als recht, damit ich etwas verstand und lernte.
»Fra Girolamo arbeitet an einer Rechtfertigung, Der Triumph des Kreuzes. Es gibt Menschen, die behaupten, er sei ein Ketzer, ein Rebell gegen die Kirche, doch diese Arbeit wird zeigen, wie orthodox sein Glaube eigentlich ist. Er schreibt sie ausdrücklich für Seine Heiligkeit als Reaktion auf die Anschuldigungen, die seine Kritiker erheben.«
Ich warf einen Seitenblick auf Francesco, der sich mit seiner minestra beschäftigte und keinerlei Meinung zu der Angelegenheit zu erkennen gab. »Nun«, sagte ich vorsichtig, »er hat ja auch emsig gegen Rom gewettert.«
»Er predigt gegen die Sünde«, entgegnete mein Vater freundlich. »Nicht gegen das Papsttum. Seine Schriften werden seinen tiefen Respekt vor dem Heiligen Stuhl belegen.«
Ich wusste es besser, doch ich schaute auf meinen Teller und gab keine Antwort.
»Ich halte es für klug von Fra Girolamo, sich solchen Fragen zu widmen«, sagte er; und als weder ich noch Francesco direkt antworteten, gab er auf, und wir setzten die Mahlzeit schweigend fort.
Kurz darauf hob Francesco zu meiner Überraschung plötzlich mit kalter Verbitterung zu sprechen an. »Soll der Prophet doch schreiben, was er will. Es gibt einige, die glauben, dass er nur wenig Chancen hat, Seine Heiligkeit zu beschwichtigen.«
Mein Vater schaute ruckartig von seinem Teller auf; unter Francescos eisigem Blick schlug er sogleich die Augen nieder. Das Abendessen ging wortlos zu Ende. Mein Vater verabschiedete sich gleich danach - worüber ich froh war, da mich die Neuigkeiten über ihn viel zu sehr beunruhigten, um mich in seiner Gegenwart wohlzufühlen. Francesco kehrte wieder in sein Zimmer zurück. Ich ging hinauf ins Kinderzimmer und spielte mit Matteo, um mich aufzuheitern und das Bild meines Vaters auszulöschen, wie er Giuliano das Messer in den Rücken rammt.
Erst als ich meinen Sohn zu Bett gebracht hatte und wieder in mein Zimmer ging, verstand ich Francescos Wut. Noch ehe ich die Klinke in die Hand nehmen konnte, ging die Tür vor mir auf, Zalumma packte meinen Arm und zog mich hinein. Rasch schloss sie die Tür hinter uns und lehnte sich dagegen; ihre Augen strahlten, sie war aufgeregt, tat aber sehr geheimnisvoll.
»Habt Ihr es schon vernommen? Habt Ihr gehört, Madonna? Isabella hat es mir gerade gesagt - die Nachricht verbreitet sich heute Abend in Windeseile!«
»Was denn?«
»Savonarola. Der Papst hat es endlich getan: Er hat ihn exkommuniziert!«
64
Der Sommer brachte einen zweiten, noch heftigeren Ausbruch der tödlichen Seuche mit sich. Florenz wurde hart getroffen: Überall sah man Tragen, auf denen Fußgänger ins Krankenhaus geschafft wurden, die auf dem Weg zu ihren Häusern, ihren Läden, ihren Kirchen zusammengebrochen waren.
Meine Besuche in der Santissima Annunziata fanden ein Ende. Selbst wenn ich mich auf die von der Pest heimgesuchten Straßen hinausgewagt hätte, wusste ich Leonardo nichts Neues mitzuteilen, da ich zu den Briefen meines Gemahls keinen Zugang mehr hatte. Aus Angst vor Ansteckung hatte Francesco seine nächtlichen Streifzüge eingestellt und blieb in seinen Gemächern, oft in seinem Arbeitszimmer; er ging nur in seinen Laden ganz in der Nähe und noch seltener, wenn das wichtigste Geschäft rief, in den Palazzo della Signoria. Trotz la moria empfing er mehr Besucher denn je: Prioren, buonomi und andere Männer, die mir nie vorgestellt wurden und nach denen ich nie fragte. Savonarola war politisch gefährdet, und Francesco war verzweifelt bemüht, ihm zu helfen.
Um der mit einer Fahrt über den Arno verbundenen Gefahr aus dem Weg zu gehen, zog mein Vater für eine Zeitlang bei uns ein. Wenn Francesco seine Besucher verabschiedet hatte, rief er häufig meinen Vater zu sich, und die beiden Männer sprachen ausführlich miteinander. Ich versuchte nicht, diese Gespräche auszuspionieren, doch es gab Zeiten, da ich ihre leisen Stimmen hörte, das Auf und Ab ihrer Unterhaltung.
Francesco klang immer
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