Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
nach mir sehen wollen. Sorge dafür, dass Zalumma genau dasselbe sagt. Und jetzt bist du froh, weil du mich gesehen und erfahren hast, dass es nichts Ernsthaftes war.«
Er drückte mich abrupt an sich. Ich hielt ihn fest. Ich war nicht von seinem Blut, doch er war mehr als jeder andere Mann mein Vater.
Dann löste er sich aus der Umarmung und bemühte sich um einen leichten Ton und ein fröhliches Gesicht. »Und jetzt lächle. Lächle und sei glücklich, Matteo zuliebe, und mir. Lächle und sei fröhlich, wenn Claudio dich ansieht und wenn du nach Hause gehst, denn in dem Haus gibt es niemanden, dem du vertrauen kannst.«
Ich nickte, küsste ihn auf die Wange und rief dann nach Zalumma. Als sie kam und Matteo vor sich herscheuchte, sagte ich ihr, dass wir nicht mehr lange bei Francesco blieben - unterdessen sollten wir nach außen hin glücklich sein.
So gingen Zalumma und ich zur Kutsche hinaus, Mat-teo auf unsicheren Beinen neben uns herlaufend. Ich schenkte Claudio ein strahlendes Lächeln.
An jenem Tag blieb mir nichts anderes übrig, als ein Buch auf meinen Nachttisch zu legen, wo Isabella es sehen würde. Sosehr ich mich auch davor fürchtete, Salai zu treffen, war das, was ich erfahren hatte, zu wichtig, um einfach ignoriert zu werden: Unsere Feinde verloren ihren Einfluss auf den Papst und den Mönch; noch bedeutender aber war, dass sie überlegten, ob sie nicht gegen die Bigi vorgehen sollten.
Ich hatte jedoch nicht die Absicht, die ganze Wahrheit weiterzugeben. In jener Nacht lag ich wach und zitierte den Brief im Stillen, wobei ich jeglichen Bezug auf Antonio, die Tochter und den Enkel ausließ. Es würde nicht schaden; Leonardo und Piero würden trotzdem alles Wichtige erfahren.
Und Salai, der sorglose Kerl, würde den Unterschied nicht merken.
Am Morgen, während ich trüben Gedanken nachhing, teilte ich Zalumma mit, dass ich Claudio brauche, um zur San-tissima Annunziata zu fahren. Sie fragte nicht nach, doch ihr finsteres, ernstes Verhalten deutete darauf hin, dass sie ahnte, warum ich ging.
Es war in der ersten Maiwoche. In der Kutsche zog ich die Brauen zusammen, blinzelte ins Sonnenlicht und lehnte mich schwer an den Türrahmen, bis wir zur Kirche kamen.
Salai tauchte in der Tür zur Kapelle auf; ich folgte ihm in sicherem Abstand durch den Flur, die Wendeltreppe hinauf, und wartete neben ihm, als er an das Holzfach in der Wand klopfte, das zur Seite glitt und uns Einlass gewährte.
Ich hatte beschlossen, meinen Text schnell herunterzuspulen, keine Zeit mit Gesprächen zu verbringen, sondern unter dem Vorwand der Erschöpfung bald nach Hause zu eilen.
Salai aber durchbrach unsere Gewohnheit, wonach er sich umgehend an Leonardos kleinen Tisch zu setzen pflegte - bar aller Malerutensilien und mit einem kleinen Tintenfass, einer Feder und Papier ausgestattet -, um als Schreiber zu dienen, während ich ihm diktierte, was ich in der Nacht zuvor auswendig gelernt hatte.
Stattdessen deutete er auf meinen Stuhl mit der niedrigen Lehne und lächelte ein wenig aufgeregt. »Wenn Ihr bitte so freundlich sein wollt, Monna Lisa . Er ist gleich bei Euch.«
Er. Ich tat einen überraschten Atemzug und schaute mich um. Mein Porträt stand wieder auf der Staffelei; der kleine Tisch daneben war mit neuen Pinseln, kleinen Zinnschalen, einem zerstoßenen Farbklumpen cinabrese zum Malen von Gesichtern, einer Schale verdeterra und einer Schale mit warmem Braun ausgestattet.
Ich hob eine Hand ans Schlüsselbein. Alles ist wie immer, sagte ich mir. Nichts hat sich verändert. Leonardo ist hier, und du bist froh, ihn zu sehen. Und du wirst lächeln, du wirst genau das zitieren, was du vorhattest. Dann wirst du ihm Modell sitzen.
Es verging keine Minute, da stand Leonardo schon lächelnd vor mir. Er sah erholt aus; sein Gesicht war viel in der Sonne gewesen. Die Haare waren länger und hingen bis auf die Schultern herab, und er hatte sich den Bart wieder wachsen lassen; er war kurz, sorgfältig gestutzt, fast silbergrau.
Ich erwiderte sein Lächeln, wenn auch ein wenig gezwungen.
»Madonna Lisa«, sagte er, stellte sich vor mich und nahm meine Hände. »Wie schön, Euch wiederzusehen! Ich hoffe, es geht Euch gut?«
»Ja, sehr sogar. Auch Ihr seht gut aus; Mailand bekommt Euch offenbar. Seid Ihr schon lange in Florenz?«
»Ganz und gar nicht. Und wie geht es Eurer Familie? Matteo?«
»Alle sind wohlauf. Matteo hört nicht auf zu wachsen. Er kann inzwischen laufen. Er hält uns alle auf Trab.« Ich lachte
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