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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Geist.
    Sie wich zurück, und er sah trotz der Dunkelheit das helle Aufflackern der Angst in ihren Augen, in der Art, wie sie den Mund öffnete; sie hatte nicht erkannt werden wollen. Hätte er eine Feder besessen, dann hätte er die tiefe Furche zwischen ihren Augenbrauen fortgewischt und den geheimnisvollen Ausdruck wieder zum Leben erweckt.
    Noch einmal murmelte er ihren Namen, diesmal als Frage, doch ihre Aufmerksamkeit war bereits auf den offenen Eingang gerichtet. Leonardo folgte ihm und konnte einen flüchtigen Blick auf ein anderes vertrautes Gesicht erhaschen: Giuliano. Sein Körper lag gänzlich im Schatten; er sah Leonardo nicht, nur die Frau.
    Und sie sah Giuliano und blühte auf.
    In diesem Moment begriff Leonardo und wandte sich ab, von Bitterkeit überwältigt, als die Tür sich hinter ihnen schloss.
    An jenem Abend suchte er Lorenzo nicht mehr auf. Er ging wieder nach Hause in seine kleine Wohnung und schlief schlecht. Er starrte zur Decke hoch und sah die sanft strahlenden Gesichtszüge der Frau aus der Dunkelheit auftauchen.
    Am nächsten Morgen, als er Giuliano im Duomo erblickte, verharrte Leonardo in seiner unglücklichen Leidenschaft. Immer wieder fiel ihm der schmerzhafte Moment ein, als er den Blick gesehen hatte, den Giuliano und die Frau austauschten, als er erkannt hatte, dass Giulianos Herz ihr gehörte und umgekehrt; er verfluchte sich im Stillen, dass er für eine so dumme Empfindung wie Eifersucht anfällig war.
    Er war so sehr in seine Tagträume vertieft, dass eine jähe Bewegung vor ihm ihn aufschreckte. Eine Gestalt in weitem Gewand trat vor, kurz bevor Giuliano sich umdrehte und hinter sich schaute, dann stieß er heftig die Luft aus.
    Schon folgte Baroncellis heiserer Ruf. Leonardo hatte wie vor den Kopf gestoßen auf die glitzernde, hoch erhobene Klinge geschaut. In Sekundenschnelle stieben die Gläubigen auseinander und rissen den Künstler wie auf einer Woge mit. Er hatte um sich geschlagen, vergeblich darum ringend, zu Giuliano vorzudringen mit dem Gedanken, ihn vor weiteren Angriffen zu schützen, doch er vermochte nicht einmal an Ort und Stelle zu bleiben.
    In dem wilden Durcheinander war Leonardo die Sicht versperrt, sodass er nicht sah, wie Baroncellis Messer in Giuliano eindrang. Die letzten Hiebe von Francescos unsäglich brutalem Angriff aber hatte Leonardo mitbekommen - wie der Dolch wieder und wieder in Giulianos Fleisch biss, so wie Erzbischof Salviati in Francesco de' Paz-zis Schulter beißen sollte, als die Zeit gekommen war.
    In dem Augenblick, als er merkte, was vor sich ging, schrie Leonardo die Angreifer gellend an - unartikuliert, bedrohlich, entsetzt. Schließlich teilte sich die Menge, endlich stand niemand mehr zwischen ihm und den Attentätern. Es war zu spät, Giulianos gute, unschuldige Seele zu beschützen.
    Leonardo sank neben dem zu Boden gestürzten Mann auf die Knie. Dieser lag halb zusammengerollt auf der Seite, sein Mund arbeitete noch; Blut schäumte auf seinen Lippen und strömte aus seinen Wunden. Leonardo presste eine Hand auf die schlimmste, auf das klaffende Loch in Giulianos Brust. Er vernahm das schwache, gurgelnde Pfeifen der Lungen, die sich abmühten, Blut auszustoßen und Luft einzuatmen. Doch Leonardos Versuche, den Fluss zu stillen, waren vergebens.
    Aus allen Wunden unter der Vorderseite von Giulianos hellgrüner Tunika rann unablässig Blut. Die Ströme teilten sich, flössen dann wieder zusammen und schufen so ein Gittermuster auf dem Körper des jungen Mannes, bis sie sich schließlich zu einer anwachsenden dunklen Pfütze auf dem Marmorboden verbanden.
    »Giuliano«, hatte Leonardo gekeucht; Tränen rannen ihm beim Anblick des Leides über die Wangen, beim Anblick einer derart verunstalteten Schönheit.
    Giuliano hörte ihn nicht. Er vermochte nichts mehr zu hören oder zu sehen: Seine halb geöffneten Augen starrten in die nächste Welt. Als Leonardo sich über ihn beugte, erbrach er einen Schwall helles, schäumendes Blut; seine Glieder zuckten kurz, dann weiteten sich seine Augen. Er war tot.
    Jetzt, da er vor il Magnifico stand, sagte Leonardo nichts über Giulianos Todeskampf, denn solche Einzelheiten würden Lorenzos Kummer nur nähren. Leonardo sprach weder über Baroncelli noch über Francesco de' Pazzi. Stattdessen redete er von einem dritten Mann, der noch nicht gefunden worden war.
    Leonardo berichtete, er habe aus den Augenwinkeln eine Gestalt in weitem Gewand gesehen, die rechts von Giu-liano vorgetreten war. Er

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