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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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als der Mord an meinem Bruder, Leonardo. Sie wollen uns vernichten.«
    »Euch und Eure Familie?«
    Lorenzo wandte sich ihm wieder zu. »Euch. Mich. Botticelli. Verrocchio. Perugino. Ghirlandaio. Alles, was Florenz darstellt.« Leonardo machte den Mund auf, um zu fragen: Wer? Wer will das tun?, doch il Magnifico hob die Hand, um ihm das Wort abzuschneiden. »Geht morgen auf die Piazza. Findet den dritten Mann. Ich habe die Absicht, ihn persönlich zu befragen.«
    Sie vereinbarten, dass Lorenzo eine symbolische Summe an Leonardo zahlen würde für einen »Auftrag« - die Skizze vom erhängten Bernardo Baroncelli mit der Aussicht, dass aus einer solchen Skizze ein Porträt werden könnte. So konnte Leonardo ehrlich antworten, er sei auf der Piazza della Signoria, weil Lorenzo de' Medici ein Gemälde haben wolle; er war ein sehr schlechter Lügner, und Ausflüchte passten nicht zu ihm.
    Während er an dem kalten Dezembermorgen, als Baroncelli hingerichtet wurde, auf dem Platz stand und sich das Gesicht eines jeden Mannes genau ansah, der an ihm vorbeikam, rätselte er über Lorenzos Worte.
    Sie wollen uns vernichten ...
TEIL II: LISA

11
    Den Tag, an dem meine Mutter mir die Geschichte von der Ermordung Giuliano de' Medicis erzählte, werde ich nie vergessen.
    Es war an einem Dezembertag dreizehneinhalb Jahre nach dem Ereignis; ich war zwölf. Zum ersten Mal im Leben stand ich im großen Duomo; den Kopf in den Nacken gelegt, bewunderte ich die Pracht von Brunelleschis Kuppel, während mir meine Mutter, die Hände zum Gebet gefaltet, die grauenvolle Geschichte ins Ohr flüsterte.
    Mitten in der Woche nach der Frühmesse war die Kathedrale fast leer, bis auf eine schluchzende Witwe auf Knien gleich hinter dem Eingang und einen Priester, der den Kandelaber auf dem Altar mit neuen Kerzen bestückte. Wir waren direkt vor dem Hochaltar stehen geblieben, an der Stelle, an der das Attentat verübt worden war. Ich liebte Abenteuergeschichten und versuchte, mir einen jungen Lorenzo de' Medici vorzustellen, wie er mit gezücktem Schwert in den Chor sprang und an den Priestern vorbei in Sicherheit lief.
    Ich wandte mich meiner Mutter Lucrezia zu und zupfte an ihrem bestickten Brokatärmel. Sie hatte dunkles Haar, dunkle Augen und einen makellosen Teint, auf den ich neidisch war; sie selbst jedoch schien sich ihrer erstaunlichen Erscheinung nicht bewusst zu sein. Sie klagte über die fehlende Sprungkraft ihrer Korkenzieherlocken, über den olivefarbenen Schimmer ihrer Haut. Dabei war sie feing-liedrig, hatte wundervolle Hände, Füße und Zähne. Ich war reif für mein Alter und schon größer als sie, hatte grobe, dunkelbraune Wellen und eine unreine Haut.
    »Was ist passiert, nachdem Lorenzo entkommen war?«, zischte ich. »Was ist aus Giuliano geworden?«
    Meiner Mutter standen Tränen in den Augen. Sie war, wie mein Vater häufig sagte, anfällig für tiefe Gefühlsregungen. »Er ist an seinen schrecklichen Verwundungen gestorben. Florenz verfiel in einen regelrechten Wahn; jeder wollte Blut sehen. Und die Hinrichtungen der Verschwörer ...« Ein Schauer überlief sie bei der Erinnerung, sie brachte es nicht fertig, den Gedanken zu Ende zu führen.
    Zalumma, die auf der anderen Seite neben ihr stand, beugte sich vor und warf mir einen warnenden Blick zu.
    »Hat denn keiner versucht, Giuliano zu helfen?«, fragte ich. »Oder war er schon tot? Ich wäre doch wenigstens hingegangen, um nachzusehen, ob er noch am Leben war.«
    »Schh«, warnte Zalumma mich. »Seht Ihr denn nicht, dass sie sich aufregt?«
    Das war tatsächlich ein Anlass zur Sorge. Meiner Mutter ging es nicht gut, und Erregung verschlimmerte ihren Zustand.
    »Aber sie hat doch mit der Geschichte angefangen«, entgegnete ich. »Ich habe nicht danach gefragt.«
    »Still!«, befahl Zalumma. Ich war schon stur, sie dagegen war noch um einiges halsstarriger. Sie nahm meine Mutter am Ellenbogen und sagte in milderem Tonfall: »Madonna, es wird Zeit, dass wir gehen. Wir müssen zu Hause sein, bevor man Eure Abwesenheit entdeckt.«
    Damit bezog sie sich auf meinen Vater, der sich an jenem Tag wie an den meisten anderen auch um seine Ge-schäfte kümmerte. Er wäre empört, wenn er nach Hause käme und feststellen müsste, dass seine Frau fort war; es war seit Jahren das erste Mal, dass sie sich so weit und so lange nach draußen gewagt hatte.
    Wir hatten diesen Ausflug seit geraumer Zeit im Stillen geplant. Den Duomo hatte ich noch nie von innen zu Gesicht bekommen, obwohl

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