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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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unlängst fertiggestellte Wandgemälde an einer Fassade in der Nähe des Palazzo della Signoria, das jetzt, da die Menge sich zu zerstreuen begann, teilweise hinter dem Galgengerüst zu sehen war. Botticelli hatte in jenen schrecklichen Tagen direkt nach dem Tode Giulianos einen Auftrag von Lorenzo bekommen: alle hingerichteten Pazzi-Verschwörer darzustellen, wie sie am Seil baumelten. Die lebensgroßen Bildnisse riefen auch prompt den Schrecken hervor, den sie erzeugen sollten. Da war Francesco de' Pazzi, vollkommen nackt, der verwundete Oberschenkel blutverkrustet; Salviati war in seiner Robe als Erzbischof zu sehen. Die beiden Toten schauten den Betrachter an - wirkungsvoll, wenn auch keine genaue Abbildung der Tatsachen. Wie Botticelli war auch Leonardo auf der Piazza della Signoria gewesen, als Francesco - aus dem Bett gezerrt - aus dem obersten Bo-genfenster des Palazzo gestoßen und für alle sichtbar am Gebäude selbst erhängt wurde. Kurz darauf folgte Salviati, der sich im Augenblick seines Todes seinem Mitverschwörer zugewandt und - ob in heftigem, unwillkürlichem Krampf oder in einem letzten Moment des Zorns - seine Zähne tief in Francescos Schulter vergraben hatte. Es war ein bizarres Bild, derart beunruhigend, dass sogar Leonardo, von Emotionen überwältigt, versäumte, es in seinem Notizbuch festzuhalten. Gemälde von anderen hingerichteten Männern, darunter auch Messer Iacopo, waren teilweise fertiggestellt; ein Mörder allerdings fehlte gänzlich: Baroncelli. Wahrscheinlich hatte sich auch Botticelli an diesem Morgen Skizzen gemacht in der Absicht, das Wandgemälde zu vollenden. Als er nun jedoch Leonardos Skizze sah, zuckte er mit den Schultern.
    »Kein Problem«, sagte er leichthin. »Da ich reich genug bin, mich wie ein Prior zu kleiden, kann ich den Auftrag sicher von einem Armen wie Euch zu Ende bringen lassen. Ich habe viel Größeres zu leisten.«
    Leonardo, in eine knielange Bauerntunika aus minderwertigem, fadenscheinigem Leinen und einen dunkelgrauen Wollumhang gekleidet, klemmte sich seine Skizze unter den Arm und verbeugte sich schwungvoll und tief in einer übertriebenen Geste der Dankbarkeit.
    »Ihr seid zu freundlich, mein Herr.« Er richtete sich wieder auf. »Und jetzt geht, Ihr seid ein Mietpferd, und ich bin ein wahrer Künstler, der noch viel zu erledigen hat, bevor der Regen einsetzt.«
    Die beiden trennten sich lächelnd und mit einer kurzen Umarmung, und Leonardo widmete sich sogleich wieder der Betrachtung der Menge. Er freute sich immer, wenn er Sandro sah, doch die Unterbrechung ärgerte ihn. Zu viel stand auf dem Spiel; zerstreut langte er in seine Gürteltasche und fischte ein goldenes Medaillon von der Größe eines Guldens heraus. Auf der Vorderseite stand in Basrelief »Öffentliche Trauer«. Darunter hob Baroncelli sein langes Messer über den Kopf, während Giuliano überrascht zur Klinge aufschaute. Hinter Baroncelli stand Francesco de' Pazzi, mit gezücktem Dolch. Leonardo hatte die S kizz e angefertigt und die Szene möglichst detailgetreu wiedergegeben, obwohl Giuliano für den Betrachter so dargestellt war, dass er Baroncelli ansah. Verrocchio hatte die Gussform nach Leonardos Zeichnung erstellt.
    Zwei Tage nach dem Mord hatte Leonardo einen Brief an Lorenzo de' Medici geschickt.
    Hochverehrter Lorenzo, ich muss mit Euch in einer äußerst wichtigen Angelegenheit unter vier Augen sprechen.
    Er erhielt jedoch keine Antwort: Lorenzo, von Trauer übermannt, verbarg sich im Medici-Palast, der zu einer von unzähligen Bewaffneten umzingelten Festung geworden war. Er empfing keine Besucher; Briefe, in denen man ihn um seine Meinung oder um seine Gunst bat, stapelten sich unbeantwortet.
    Nach einer Woche ohne Antwort lieh Leonardo sich einen Goldflorin und ging zur Tür der Medici-Feste. Er bestach einen der Wachhabenden dort, der unverzüglich einen zweiten Brief zustellen sollte, während er, Leonardo, in der Loggia wartete und zusah, wie der Regen auf die Pflastersteine prasselte.
    Verehrter Lorenzo, ich komme weder, um Eure Gunst zu erbitten, noch um über Geschäftliches zu reden. Ich habe wichtige Informationen im Zusammenhang mit dem Tod Eures Bruders, die nur für Eure Ohren bestimmt sind.
    Kurz darauf wurde er vorgelassen, nachdem man ihn sorgfältig nach Waffen durchsucht hatte - lächerlich, da er nie eine besessen und keine Ahnung hatte, wie man damit umging.
    Blass und leblos in einer schmucklosen schwarzen Tuni-ka, den Hals noch verbunden, empfing

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