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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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unser Schöpfer, der Leben in einen Stein haucht.« Sie nickte, offenbar erfreut über meinen Scharfblick, und gab dem Kutscher ein Zeichen weiterzufahren.
    Wir steuerten auf die Piazza del Duomo zu.
    Bevor wir die Kathedrale betraten, hatte ich Ghibertis Relieftafeln auf den Türen der achteckigen Taufkapelle nebenan betrachtet. Hier, neben dem öffentlichen Eingang an der Südseite des Gebäudes, bedeckten Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers die Wände, des Schutzheiligen von Florenz. Was mich jedoch wahrhaft quälte, war die Paradiespforte am Ostportal. Dort war das Alte Testament in lebhaften Einzelheiten in fein vergoldeter Bronze zum Leben erweckt. Ich stellte mich auf Zehenspitzen, um den geschwungenen Bogen des Flügels eines Engels zu betasten, der Abraham verkündete, Gott wolle Isaak als Opfer; ich bückte mich, um Moses zu bestaunen, der die Gesetzestafeln aus der Hand Gottes empfing. Am liebsten hätte ich die fein gearbeiteten Köpfe und die muskulösen Schultern der Ochsen berührt, die aus dem Metall der obersten Platte auftauchten, um ein Feld zu pflügen. Ich ahnte, dass die Spitzen der Hörner unter meiner Berührung scharf und kalt wären, doch sie lagen außerhalb meiner Reichweite. Stattdessen gab ich mich damit zufrieden, über die zahlreichen winzigen Häupter von Propheten und Sibyllen zu fahren, die die Türen wie Girlanden säumten; die Bronze brannte wie Eis.
    Der Innenraum des Baptisteriums war für mich weniger bemerkenswert. Nur ein Gegenstand erregte meine Aufmerksamkeit: die aus dunklem Holz geschnitzte, überlebensgroße Maria Magdalena von Donatello. Es war eine grässliche, gespenstische Version der Verführerin: eine alte Frau, das Haar wirr und so lang, dass sie sich in den Strähnen kleidete, ähnlich wie der heilige Johannes in Tierhäuten. Ihre Wangen waren eingefallen, die Gesichtszüge von Schuldgefühlen und Reue gezeichnet. Die Resignation in ihrer Erscheinung erinnerte mich vage an meine Mutter.
    Dann begaben wir drei uns in den eigentlichen Duomo, und sobald wir vor den Altar traten, begann meine Mutter über den Mord zu sprechen, der dort fast vierzehn Jahre zuvor verübt worden war. Mir blieb nicht viel Zeit, die erstaunlichen Ausmaße der Kuppel im mich aufzunehmen, ehe Zalumma meine Mutter besorgt daran erinnerte, dass es höchste Zeit sei zu gehen.
    »Vermutlich.« Meine Mutter gab Zalummas Drängen nur zögernd nach. »Aber vorher muss ich noch mit meiner Tochter allein sprechen.«
    Die Sklavin sah ihre Pläne vereitelt. Sie blickte so finster, dass sich ihre Augenbrauen zu einer dicken, dunklen Linie vereinten, doch ihre gesellschaftliche Stellung zwang sie, ruhig zu bleiben. »Gewiss, Madonna.« Sie zog sich also zurück, blieb aber ganz in der Nähe.
    Sobald meine Mutter sich vergewissert hatte, dass Za-lumma uns nicht beobachtete, holte sie einen kleinen, glänzenden Gegenstand aus ihrem Ausschnitt. Eine Münze, war mein erster Gedanke, doch nachdem sie ihn mir in die Hand gedrückt hatte, sah ich, dass es sich um ein goldenes Medaillon handelte, auf dem die Worte ÖFFENTLICHE TRAUER eingraviert waren. Unter den Buchstaben zückten zwei Männer ihre Messer, um ein verblüfftes Opfer anzugreifen. Trotz der geringen Größe war das Bild detailgetreu und lebensecht, mit einer Feinheit ausgeführt, die eines Ghiberti würdig war.
    »Behalte es«, sagte meine Mutter. »Aber es soll unser Geheimnis bleiben.«
    Habgierig und interessiert beäugte ich ihr Geschenk. »Sah er denn wirklich so gut aus?«
    »Ja. Er ist ziemlich genau getroffen. Das Med aill on ist eine Rarität. Es stammt vom selben Künstler, der auch Baroncelli gemalt hat.«
    Umgehend steckte ich das Medaillon in den Gürtel. Meine Mutter und ich hatten eine gemeinsame Vorliebe für Schmuckstücke dieser Art und für Kunst im Allgemeinen; mein Vater dagegen hatte sich als Kaufmann seinen Wohlstand schwer erarbeitet, und er sah es daher nicht gern, wenn Geld für etwas Unpraktisches, ja Nutzloses wie dieses Medaillon aus dem Fenster geworfen wurde. Ich aber war begeistert; ich hungerte förmlich nach solchen Sachen.
    »Zalumma«, rief meine Mutter, »von mir aus können wir jetzt gehen.«
    Zalumma eilte sofort herbei und ergriff wieder den Arm meiner Mutter. Als diese sich jedoch vom Altar abwenden wollte, hielt sie inne und rümpfte die Nase. »Die Kerzen ...«, murmelte sie. »Haben die Altartücher Feuer gefangen? Irgendetwas brennt ...«
    In einem Anflug von Panik entgleisten Zalumma die

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