Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Unterstützung. Den ganzen Tag kämpfe ich schon dagegen an, meine Suizidgedanken nicht in die Tat umzusetzen.«
Und plötzlich war alles ganz leicht. Wir einigten uns darauf, dass ich noch bis zu 300 Milligramm Seroquel als Bedarf bekommen und jeden Tag eine Schwester oder ein Pfleger eine halbe Stunde mit mir sprechen würde. Als ich wieder allein war, war ich erleichtert, aber auch nachdenklich. Was passierte eigentlich mit all den Patienten, die ihre Not nicht so unmissverständlich zum Ausdruck bringen konnten wie ich?
Eine Woche blieb ich auf der Geschlossenen. Ich hangelte mich von Mahlzeit zu Mahlzeit, schlief auch tagsüber oft und schickte viele SMS an meine Freunde. Meine Fixpunkte waren die täglichen Gespräche. Nicht jeder verstand mein persönliches Grauen: dass der Therapeut mich vom Hals haben wollte, weil ich so schrecklich war. Doch zumindest nahmen sie meine Gefühle ernst.
An meinem letzten Abend lag ich mal wieder auf dem Bett und schrieb Birgit eine SMS , nun mit der frohen Kunde, dass ich am nächsten Morgen entlassen werden würde. Ein Satz in ihrer Antwort machte mich nachdenklich. Sie hatte gesimst: »Was hat dir denn geholfen?« Eigentlich sprach aus meiner Sicht immer noch alles gegen die Geschlossene: Es gab keine Psychotherapie, nur wenig Zerstreuung, die Zeit allein totzuschlagen, war furchtbar schwer, das Essen variierte zwischen schlecht und ekelhaft, und die Mitpatienten waren meist beängstigend. Und doch wollte ich mich jetzt, eine Woche später, nicht mehr töten. Woran lag das?
»Liebe Birgit, hier kann ich einen Teil der Verantwortung für mein Leben abgeben«, schrieb ich zurück. »Wenn man auf der Kippe steht, ist das sehr entlastend. Ja, ich werde hier hauptsächlich verwahrt. Aber wenn man unmittelbar vor dem Selbstmord steht, direkt vor der Handlung, sind Ãrzte, Psychologen, Schwestern und Pfleger viel schneller erreichbar. Auch bilden sie ein Hindernis, das man zu Hause nicht überwinden muss. In der Klinik können auÃerdem die Medikamente intravenös verabreicht werden. Im absoluten Notfall, wenn ich komplett ausraste, könnte ich also eine Spritze bekommen, die ich daheim natürlich nicht parat hätte. Und die Chance, rechtzeitig gerettet zu werden, ist im Krankenhaus viel gröÃer.«
17 Verrückt nach mir â psychiatrische Stationen
A uÃer den geschlossenen Stationen und solchen, die sich an bestimmte Patientengruppen wie zum Beispiel Süchtige richten, bestehen Psychiatrien oft aus sogenannten Akutstationen. Wenn es in dem Krankenhaus keine spezialisierten Stationen gibt (das ist meist abhängig von der GröÃe der Klinik), landen hier alle, die in einer akuten seelischen Krise sind. Also schwer Depressive genauso wie Demente und Psychotiker. Es gibt Pillen, ein bisschen Beschäftigung (zum Beispiel in einer Bastelgruppe), aber nur sehr selten Psychotherapie. An den Wochenenden passiert oft gar nichts. Ich kenne Patienten, die fürs Erste vor allem in einem geschützten Rahmen Ruhe brauchen und für die das daher ein paar Wochen lang in Ordnung ist. Ich selbst hatte immer das Gefühl, nur verwahrt zu werden. Deshalb nehme ich lieber wochenlange Wartezeiten für eine Depressionsstation in Kauf, als mich jemals wieder auf einer Akutstation aufnehmen zu lassen.
Psychosomatische Stationen
Alternativ zu einer Station in der Psychiatrie kann man sich auf eine psychosomatische Station aufnehmen lassen. Psyche bedeutet im Griechischen »Seele«, soma »Körper« â die Psychosomatik befasst sich also mit Krankheiten, die seelische und körperliche Ursachen haben. Bei Depressiven bedeutet das zum Beispiel, dass die Niedergeschlagenheit (seelisch) nicht unabhängig von Schlafstörungen (körperlich) zu sehen ist. Doch eine gute Psychiatrie geht heute ebenfalls davon aus, dass sich Körper und Seele beeinflussen. Warum gibt es dann aber zwei Fachdisziplinen, also Psychosomatik und Psychiatrie? Hier findet eine Spaltung statt, die keine sein müsste. Sie ist entstanden, weil sich beide Fächer nebeneinander entwickelt haben. Diese Trennung ist ein deutsches Phänomen und weltweit einzigartig. Inzwischen sind beide Spezialgebiete so groÃ, dass 1992 der »Facharzt für Psychotherapeutische Medizin « eingeführt wurde, der seit 2003 »Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie« heiÃt. AuÃer den niedergelassenen
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