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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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zusätzliche Dosis höchstens für ein paar Tage geben – was, wenn das nicht genug sein würde? Ich versuchte kooperativ, aber gleichzeitig auch bestimmt zu sein, und sagte: »Ja, ich weiß. Aber im Moment halte ich den Druck nicht aus. Es muss sein.«
    Ich hatte an diesem Abend einen möglichsten hohen Bedarf ausgehandelt, weil ich wusste, dass man nicht alles auf einmal erhalten würde, sondern nur in bestimmten Dosierungsschritten. So bekam ich an diesem Morgen dann auch nur zehn Milligramm Oxazepam extra. Doch auch eine Stunde nachdem ich den Bedarf genommen hatte, ließ meine innere Todesangst, die genauso stark war wie die Todessehnsucht, überhaupt nicht nach. Also ging ich wieder zum Dienstzimmer; ich wollte um ein Gespräch bitten. Die Tür war aber geschlossen, mehrere Mitarbeiter saßen in dem Raum beisammen und redeten. Ich klopfte. Nach einer Weile stand ein Mann auf, machte die Tür einen Spalt weit auf und erklärte mir: »Jetzt passt es nicht, wir machen gerade die Übergabe der nächsten Schicht.«
    Â»Kann ich bitte mit jemandem reden, mir geht es sehr schlecht«, sagte ich.
    Â»Kommen Sie später wieder«, sagte er kurz angebunden und schloss die Tür.
    Wie betäubt ging ich in meinen Flur zurück. Ich dachte ernsthaft daran, mir aus den Handtüchern einen Strick zu drehen und mich zu erhängen. Es fühlte sich nicht so an, als könnte ich diesen Zustand noch ein, zwei Stunden aushalten. In meiner Wut und meiner Enttäuschung beschloss ich: So geht es nicht weiter. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich darauf bestehen, mit einem Arzt zu sprechen. Dem werde ich sagen, dass ich entlassen werden will. Zu Hause konnte ich wenigstens so viele Medikamente nehmen, wie ich wollte – oder mich umbringen. Letzteres musste ich ihm ja nicht sagen.
    Ich legte mich wieder ins Bett und schrieb eine SMS : »Liebe Birgit, bin jetzt in der Geschlossenen. Laufe hier rum wie ein Tiger im Käfig. Therapie gibt’s keine, und ich weiß einfach nicht, wie ich aus diesen extremen Gefühlen wieder rauskommen soll. Ich kann einfach nicht mehr.«
    Kurze Zeit später piepte mein Handy, ich hatte von Birgit eine Nachricht erhalten. Sie schrieb: »Liebe Heide, wie gut, dass du in die Klinik gegangen bist. Ich weiß, wie ätzend du das findest. Du wirst auch diese Krise überstehen. Halt bitte durch!«
    Ich war sehr berührt von Birgits Anteilnahme. Also legte ich das Telefon unter mein Kopfkissen, rollte mich auf die Seite und nahm meinen Teddy in die Hand. Noch zwei Stunden bis zum Mittagessen. Die Augen geschlossen, den Körper zusammengerollt, tat ich das, was ich in absoluten Notfällen immer mache: Ich malte mir aus, wie ich mich umbringen würde. Allein die Fantasie war eine unglaubliche Erleichterung, denn wenn ich tot wäre, würde ich nichts mehr fühlen müssen. Alles war besser als diese Mischung aus Panik und Verzweiflung.
    Endlich war es zwölf Uhr. Die Schichtübergabe würde doch wohl spätestens nach dem Essen beendet sein? Ich ging in den Flur vor dem Dienstzimmer, nahm ein Tablett mit meinem Namensschild und einem abgedeckten Teller aus einem mannshohen Wagen und setzte mich an einen der runden Resopaltische im Speisesaal.
    Mir gegenüber hockte eine rundliche, etwa fünfzigjährige Frau mit schwarzen, halblangen Haaren und blauen Augen. Sie trug weiße Verbände um beide Handgelenke. Mein Blick fiel darauf, und ich dachte: Bitte, erzähl mir nichts! Noch ein schweres Schicksal ertrage ich nicht. Als ob sie Gedanken lesen könnte, sagte sie nur: »Hallo, ich bin Hava. Guten Appetit!«
    Ich atmete erleichtert aus und antwortete: »Danke, gleichfalls.«
    Nach dem Essen machte ich mich abermals auf den Weg zum Dienstzimmer. Die Tür war offen, eine ältere Frau mit Stoppelhaarschnitt saß am Computer und tippte etwas ein. Ich klopfte an den Türrahmen und sagte: »Ich möchte mit dem Arzt vom Dienst sprechen.«
    Die Krankenschwester blickte von ihrem Bildschirm auf. »Warum? Die Visite ist morgen. Dort können Sie Ihr Anliegen vorbringen.«
    Jetzt hieß es, die Nerven zu bewahren und sich durchzusetzen. Ich versuchte, meiner Stimme einen festen Klang zu geben: »Nein, ich muss heute noch mit ihm sprechen, und zwar so bald wie möglich. Ich möchte entlassen werden.«
    Die Frau sah mich durch ihre Hornbrille genervt an. »Was? Sind Sie

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