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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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nicht gerade erst eingetroffen?«
    Â»Ja. Und jetzt möchte ich wieder gehen. Heute.«
    Die Frau verzog das Gesicht, griff nach dem Telefonhörer und sagte: »Ich rufe Frau Dr. Kern an, sie kommt dann auf Sie zu. Es kann aber dauern.«
    Ich nickte, drehte mich um und ging zurück zu meinem Bett. Würde ich wieder durch die Stahltür in die Freiheit wollen, musste ich ein Gespräch mit dem diensthabenden Arzt führen, das wusste ich von anderen Patienten. Und nahm der eine hohe Suizidgefahr bei mir an, würde er mich nicht gehen lassen. Würde ich aber darauf dringen, dass ich entlassen werde – schließlich war ich freiwillig da –, würde die Klinik einem Richter Bescheid geben. Dieser müsste dann innerhalb einer bestimmten zeitlichen Frist, oft sind es vierundzwanzig Stunden, in der Klinik eintreffen und entscheiden, ob ich die Station verlassen darf oder nicht. Genau geregelt ist das in den Gesetzen zu psychischen Krankheiten (Psych KG) der Bundesländer. Inzwischen war ich mehrere Male in der Geschlossenen, in eine solche Situation bin ich noch nie gekommen.
    Als ich mein Bett erreicht hatte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen: Hinter diesem stand jetzt ein weiteres Stahlbett. Es war leer. Doch an den Seiten hingen mehrere handbreite weiße Gurte. Die Schließen auf der einen Seite, die Enden mit den Löchern auf der anderen. Am Kopfende klebte mit Tesa ein DIN -A4-Blatt, auf dem stand »Fix-Bett. Bitte stehen lassen«. Gerade hatte ich mich ein bisschen beruhigt, doch wieder stieg das Entsetzen in mir auf. Hier wurden also wirklich Patienten festgebunden – fixiert – und in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Ich mochte da gar nicht hinsehen. Ich legte mich in mein eigenes Bett und verkroch mich unter der Decke.
    Bis heute habe ich nur leere Betten mit Gurten gesehen, nie mit einem Patienten darin. Ich habe auch noch nie erlebt, dass jemand festgeschnallt oder mit einer Spritze betäubt wurde, auch nicht, wenn jemand geschrien, genervt oder randaliert hat. Deshalb hatte ich bislang das Gefühl, dass Fixierung zwar vorkommt, aber wirklich das letzte Mittel der Wahl ist. Rein rechtlich gesehen darf ein Mensch auch nur dann fixiert werden, wenn er für sich oder einen anderen eine unmittelbare Gefahr darstellt. Auch in diesem Fall muss ein Richter innerhalb von vierundzwanzig Stunden kommen und die fachärztliche Anweisung der Fixierung überprüfen. Während ein Patient festgebunden ist, müssen die Mitarbeiter ihn ständig begleiten. Doch auch wenn ich eine solche Situation noch nicht gesehen habe, stelle ich sie mir schrecklich vor.
    Um siebzehn Uhr erschien endlich die Ärztin. Ich war schon am Durchdrehen, denn kurz nachdem ich mich hingelegt hatte, schrie eine Frau aus dem Zimmer mir gegenüber: »Hilfe! Hilfe! So helft mir doch!« Immer wieder, alle paar Minuten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Warum kam niemand? Sollte ich zu ihr reingehen? Und dann? Meine Furcht war zu groß. Also steckte ich den Kopf unter das Kissen und weinte. Heute weiß ich, dass viele Patienten stundenlang schreien oder herumpoltern, indem sie beispielsweise die Bilder von den Wänden reißen oder Stühle gegen die Wand dreschen. Ich habe inzwischen nicht mehr so große Angst vor den Extremen der Mitpatienten wie beim ersten Mal, aber ich halte mich dennoch von ihnen fern.
    Als ich mich gerade entschlossen hatte, zum x-ten Mal zum Dienstzimmer zu gehen – dieses Mal, damit jemand der Frau half –, tippte mir die Ärztin an die Schulter. Ich fuhr erschrocken hoch. Sie sah aus wie eine Elfe, hatte ein Puppengesicht, der weiße Kittel reichte ihr fast bis zu den Knöcheln.
    Â»Frau Fuhljahn, Sie wollten mich sprechen«, sagte sie streng. »Was ist los?«
    Â»Ja, und es ist dringend, aber können Sie bitte auch dieser Frau helfen?«, antwortete ich. »Das ist doch nicht zum Aushalten.«
    Â»Die Pflege hat Frau Schubert im Blick, keine Sorge«, sagte sie. Sie setzte ein energisches »Wirklich!« nach, als sie meinen skeptischen Blick sah.
    Ich konzentrierte mich wieder auf mich. Jetzt war es an der Zeit, meine Trumpfkarte auszuspielen. »Entweder ich gehe jetzt nach Hause, oder Sie geben mir mehr Medikamente«, sagte ich weit resoluter, als ich es eigentlich war. »Wenn es hier schon keine Therapie gibt und niemand Zeit hat, mit mir zu sprechen, brauche ich diese Form der

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