Kalt ist der Abendhauch
eigenen Haushalt bloß sonntags Wein gegeben habe.
»Und wochentags immer Runkelrüben«, sagt Felix.
»Bitte noch ein Stückchen Aubergine«, verlange ich. Niemand scheint sich zu wundern, daß ich dieses violette Zeug sofort richtig identifiziert habe. Meine Schwiegertochter hat mir bei einem Toskana-Urlaub mühsam beigebracht, wie all das fremdländische Obst und Gemüse heißt, damit ich nicht Blumenkohl zu Broccoli sage und sie blamiere.
»Oh, was für niedliche Löffelchen«, sagt Felix begehrlich.
Ich habe sie aber bereits meiner Enkelin Cora versprochen.
»Cora hat doch Geld wie Heu«, sagt er mißgünstig.
Da hat er recht, außerdem hat sich das Biest schon lange nicht mehr bei mir blicken lassen. Ursprünglich besaß ich zwölf Teelöffel, aber in den letzten zwei Jahren habe ich wohl versehentlich einige Joghurtbecher mitsamt dem Löffel in den Mülleimer befördert. »Steck sechs Löffel ein«, sage ich, »damit du die Weisheit damit fressen kannst.«
Haben, haben, denken auch die anderen Studenten und mustern plötzlich mein gesamtes Inventar mit neuem Blick.
Felix fragt: »Ist das alles Jugendstil?«
»Junge, du mußt aber noch viel lernen«, sagt Tanja. »Und du willst in Darmstadt geboren sein?«
Ihr Blick fällt auf Huldas museale Kleider. »Ach, übrigens: Hat Fanni nicht das Blut an ihren Kleidungsstücken bemerkt? Wie hat sie reagiert? Oder hat man alles verbrannt, was Albert in seiner Todesstunde trug?«
Fanni hatte gesehen, wie Albert in ihren Sachen die Treppe heruntergetragen wurde. Da sie, im Gegensatz zu mir, nichts von seinen heimlichen Verkleidungsorgien wußte, konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Zu jener Zeit beschäftigte sie sich intensiv mit Glaubensfragen; Selbstmord war eine Sünde, und hier mußte der Teufel persönlich am Werk gewesen sein. Fanni war tagelang verstört, dann überraschte sie die Eltern mit dem endgültigen Entschluß, zum katholischen Glauben überzutreten.
Unser gebeutelter Vater konnte nichts dagegen machen.
Meine Eltern hatten ihren ersten Sohn nach dem allseits beliebten Großherzog von Hessen Ernst Ludwig benannt. Anläßlich der Verlobung des Großherzogs sang mein Vater, als junger Mann Mitglied des Darmstädter Männergesangvereins, gemeinsam mit fünfhundert Sängern aus achtundzwanzig Vereinen Es steht ein Baum im Odenwald. Von diesem Ereignis erzählte er mit Stolz. Im selben Jahr heirateten meine Eltern und fühlten sich den Hoheiten stets auf besondere Weise verbunden.
Es muß für meinen Vater bitter gewesen sein, daß man dreißig Jahre später einem anderen Herrn huldigte und die Fürsten ohne Amt waren. Immer wieder betonte er, man brauche in schweren Zeiten nichts anderes als einen »gelernten Großherzog«. Er konnte den Text der hessischen Fürstenhymne (nach der Melodie von Godsave the Queen) auswendig:
Heil unserm Fürsten, Heil, Heil Hessens Fürsten, Heil,
Ernst Ludwig, Heil!
Herr Gott, dich loben wir, Herr Gott, wir fleh'n zu dir:
Segne ihn für und für!
Ernst Ludwig, Heil!
Und so weiter, ein Heil jagte das nächste. Aber leider rief gerade unser ältester Bruder Ernst Ludwig schon früh ein anderes Heil und hob dazu den Arm. Bald spaltete sich die Familie in mehrere Lager: Vater, Hugo und Fanni, sonst völlig uneins, waren überzeugte Gegner der Nationalsozialisten; Ida lief im Gefolge von Ernst Ludwig mit wehenden Fahnen zum neuen
Glauben über; Mutter, die kleine Alice und ich waren gänzlich desinteressiert; Heiner hielt es kurzfristig mit den Sozis, bis auch er aus opportunistischen Gründen Parteimitglied wurde.
Nicht nur in unserer Familie kam es zu Zerwürfnissen, auch die Ehe von Hugo und Ida wurde durch politische
Meinungsverschiedenheiten getrübt. Wie gesagt, ich hegte damals für Hugo eine nostalgische Sympathie, aber meine glühende Liebe galt einem neuen, verheirateten Mann. Hugo hatte plötzlich an Ida noch andere Dinge auszusetzen: ihr mangelndes Interesse an geistigen Inhalten, ihre Oberflächlichkeit und Genußsucht. Er war ungerecht, denn ihre Qualitäten - Schönheit und Organisationstalent - schien er zu übersehen. Ida war nur einfach unfähig zu eigenständigem Denken, sie folgte politischen Überzeugungen wie
Kleidermoden. Hugo erinnerte sich wehmütig an die lustigen Zeiten mit mir und versuchte, beim mittäglichen Zusammentreffen wieder daran anzuknüpfen. Als ich ihm - in einer sentimentalen Anwandlung unter vier Augen - verriet, daß ich hoffnungslos in meinen Lehrer verliebt
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