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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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reichten sich die Hände und brachten ein gezwungenes »angenehm« und »aach angenehm« zustande. Hugo stopfte mir blitzschnell meine Kleider unter die Decke, so daß ich mich unterirdisch anziehen konnte. Spirwes war so erleichtert, weder seine Frau noch Ein-, sondern nur Ehebrecher vorgefunden zu haben, daß er eine Flasche Korn öffnete. Zu ihrem großen Erstaunen fand uns Mielchen alle drei betrunken auf dem Sofa sitzen. Als wir uns verabschiedeten, lallte Spirwes: »Was geww ich uff moi schlächt Gschwätz! Awwer denkt aach emol an aam und dud des nächstemol die Bedde frisch beziehe!«
    Ob Hugo sich daran erinnert? Wir haben später noch oft unter Gelächter den dürren Spirwes zitiert. Ich habe allerdings nicht vor, Mielchens Namen zu erwähnen.
    Als Heidemarie auszog, um in Hamburg bei einem Herrenschneider zu arbeiten, überlegte meine Mutter lange, ob sie zu Ida nach Frankfurt ziehen sollte. Sie entschied sich schließlich gegen das Landleben und für die kranke Tochter. Meine Schwägerin Monika wollte wieder heiraten, einen äußerst ruhigen, langweiligen Flüchtling aus dem Osten. Vielleicht wollte Mutter dem jungen Glück nicht auf die Finger sehen, dafür aber mir. Sie mochte Anton gern, hatte aber sofort erkannt, daß er ganz nach meiner Pfeife tanzte. Seit Mutter in Frankfurt wohnte, kam sie mindestens einmal in der Woche zu Besuch. Es zog sie natürlich auch in ihre alte Heimat, dabei mied sie aber das ausgebombte Herz der Stadt, wo einst unser Haus mit dem Schuhgeschäft gestanden hatte.
    Idas Krankheit verlief in Schüben, manchmal war sie über einen längeren Zeitraum wohlauf. Kaum hatte Hugo eine eigene Buchhandlung erworben und verdiente besser, begann sie sein Geld für teure Kleider auszugeben. Ich wußte es von Mutter, Hugo pflegte nie über Eheprobleme zu sprechen.
    Im übrigen trafen wir uns ohnedies aus Scham nicht mehr bei Mielchen. Die neue Regelung war allerdings auch nicht optimal: Hugo schickte seinen Lehrling in der Mittagspause fort, schloß den Laden ab und begab sich mit mir in sein Büro, wo es kein Bett, sondern nur ein durchgesessenes Sofa mit einer haarenden Kaninchenpelzdecke gab.
    Als ich eines Tages wie stets in großer Eile vom Bahnhof kam, sah ich schon von weitem vor meinem Haus einen Menschenauflauf. Veronika kam mir laut weinend entgegengerannt, aber ich verstand nicht, was sie sagte. Erst als wir vor der Tür angelangten, erfuhr ich von einer Nachbarin, was geschehen war: Ulrich radelte in einem Konvoi von Freunden auf der Straße herum, Veronika saß auf dem
    Gepäckträger. Mit Regine an der Hand stand Anton im Vorgarten und ließ die Kleine ein rotes Fähnchen schwenken. Dank seines geschärften Gehörsinns hörte er von weitem einen Lastwagen nahen und rief den Kindern zu, an den Straßenrand zu fahren. Ulrich war etwa zwölf und benahm sich vernünftig wie meistens. Als er auf der gegenüberliegenden Seite anhielt und Veronika vom Rücksitz gleiten ließ, riß sich Regine plötzlich los und lief zu ihrer großen Schwester. Um das Kind wieder einzufangen, sprang Anton instinktiv hinterher. Die flinke Regine war längst heil bei den Geschwistern angekommen, als er unter die Räder des Lasters geriet. Meine Kinder erlitten einen Schock, Anton wurde ins Krankenhaus gebracht.
    Plötzlich schnarcht Hugo lauter und wird davon wach. Erschrocken starrt er mich aus seinen blauen Augen an, die durch den beginnenden grauen Star noch geheimnisvoller wirken. »Entschuldige, ich muß eingeschlafen sein! Ich habe gerade von Ida geträumt.«
    Mein Gott, Hugo, früher warst du einfühlsamer. Höflich frage ich: »War es wenigstens ein schöner Traum?«
    Hugo kann die Handlung nicht mehr rekapitulieren. Er setzt sich auf und reibt sich die Augen. »Im Traum war Ida wütend auf mich, ich weiß allerdings nicht, warum. Aber es war so schlimm wie damals, als sie die fremde Frau in unserer Wohnung antraf, erinnerst du dich?«
    Ich gebe vor, keine Ahnung zu haben, und bemerke nur, daß anscheinend jeder seine eigenen Erinnerungen habe.
    Also darf Hugo erzählen, wie Ida eines Tages vom Friseur zurückkam und eine unbekannte junge Frau im Wohnzimmer vorfand. Als Antwort auf Idas erregte Fragen behauptete die Fremde: »Hat Ihr Mann Ihnen nicht gesagt, daß er sich demnächst scheiden lassen wird? Ich bin schon lange seine
    Geliebte und werde bald hier einziehen.« Ida fiel zwar kurzfristig das Herz, nicht jedoch das Mundwerk aus; unter garstigen Worten warf sie die Frau hinaus. Als der

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