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Kalt, kaltes Herz

Kalt, kaltes Herz

Titel: Kalt, kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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ausgebreitet. Die Sonne ging gerade auf, und die Gitterstäbe vor dem Fenster warfen lange Schatten. Immer wieder zitterte eines seiner Gliedmaßen.
    »Er stinkt wie ein Müllhaufen«, sagte Lucey. Er nahm den Schlüsselring von seinem Gürtel und stieß einen Schlüssel ins Zellenschloß. Ich packte ihn am Handgelenk und drückte den Daumen in die weiche Stelle zwischen den Knochen. »Psst«, zischte ich. Er verzog das Gesicht und versuchte, sich loszumachen. »Psst«, wiederholte ich und hielt den Finger an die Lippen. Er funkelte mich wütend an, schob aber die Tür auf.
    Ich ging allein hinein. Neben Westmoreland kniete ich nieder. Seine Augen zuckten unter den Lidern. Er atmete keuchend. Ich zog eine Spritze mit Amytal auf und band ihm vorsichtig den Arm ab. Eine Vene sprang hoch. Ich stach die Nadel hinein. Westmoreland schnitt zwar eine Grimasse, doch er wachte nicht auf. Langsam drückte ich den Kolben herunter.
    Amytal brennt beim Eintreten in den Blutkreislauf. Als ich gerade mit der Spritze fertig war, schlug Westmoreland die Augen auf. Minen Moment lang starrte er den kleinen Blutstropfen an, der sich auf seiner Haut bildete. Dann die Spritze in meiner Hand. Er warf mir einen panischen Blick zu. Und im nächsten Moment schlug er sich wortlos selbst ins Gesicht.
    »Halten Sie ihn fest!« rief ich Lucey zu.
    Westmoreland fing an, wie ein Wilder auf sich einzuprügeln. Da ich nur eine seiner Hände festhalten konnte, erwischte er seine Nase.
    Lucey stand da und beobachtete uns ängstlich.
    Ich packte ihn am Gürtel und zog ihn auf den Boden.
    Gemeinsam versuchten wir Westmoreland zu bändigen, doch er schaffte es trotzdem, sich die Lippe blutig zu schlagen und sich eine Platzwunde über dem Auge zuzufügen. Immer noch sträubte er wich mit Leibeskräften gegen uns – oder gegen sich selbst.
    »Was zum Teufel ist mit ihm los?« fragte Lucey. »Was für einen Dreck haben Sie ihm da gegeben?«
    »Der Dreck ist weg!« brüllte Westmoreland. »Weg ist der Speck!«
    »Es ist gleich vorbei«, antwortete ich ruhig. Westmoreland befreite sich aus Luceys Griff und landete einen satten Treffer auf sein eigenes Ohr.
    »Der ist ja vollkommen durchgedreht«, sagte Lucey.
    »Seien Sie still und halten Sie ihn fest.«
    »Verdammte Scheiße.« Lucey schnappte sich Westmorelands Arm und drückte ihn auf den Boden. »Die heilige Maria ist mir erschienen«, stammelte Westmoreland. In einem letzten Versuch, uns abzuschütteln, bäumte er sich auf und sackte dann in sich zusammen.
    »Wenn er tot ist, sind Sie dran«, meinte Lucey.
    »Er ist nicht tot.«
    Er sah mich zweifelnd an. »Ich werde diesen Vorfall sofort Captain Hancock melden.«
    »Ich könnte Sie hier aber brauchen.«
    »Finger weg von ihm«, warnte er mich noch, stand auf und ging zur Tür.
    »Haben Sie etwa Angst, daß ich ihm was antue?«
    Die Zellentür fiel ins Schloß. »Total bekloppt«, murmelte er.
    Obwohl Westmoreland das Blut übers Gesicht lief, wirkte er jetzt friedlicher. Er lag reglos und mit geschlossenen Augen da. Ich wartete etwa eine Minute, bis ich seine Hand nahm. Seine Haut fühlte sich trocken und schwielig an. »Mr. Westmoreland«, sagte ich. »Ich bin Psychiater. Mein Name ist Frank Clevenger. Wir haben miteinander gesprochen, wissen Sie noch?«
    Er reagierte nicht.
    »Das Medikament, das ich Ihnen gegeben hatte, wird es Ihnen leichter machen, mit mir zu reden«, fuhr ich fort. »Es ist wie ein Wahrheitsserum.«
    Er bewegte lautlos die Lippen.
    »Es ist okay, sich mir anzuvertrauen.«
    »Okay«, flüsterte er.
    Ich wollte mit den einfachen Fakten anfangen. »Wissen Sie, wo wir sind?«
    »Ja.«
    »Und wo sind wir?«
    »In der Hölle, Vater. In den Gedärmen des Universums. Und ich bin der Abschaum der Menschheit.«
    »Und wie heißen Sie?«
    Westmoreland verzog nur das Gesicht und schwieg. Ich wollte nicht riskieren, daß er sich wieder einigelte, weil ich ihn mit Fragen bedrängte, die er nicht beantworten konnte. »Warum sind Sie hier, mein Sohn?« sagte ich deshalb. »Gott hat sie mir gegeben«, erwiderte er und brach in Tränen aus. »Den Inbegriff der Reinheit.«
    »Sie haben ein Geschenk von Gott bekommen?«
    »Ich habe die Jungfrau Maria im Wald gefunden.« Er schlug die Augen auf und sah durch mich hindurch. »Ich habe sie beschmutzt. Kein Sohn Gottes wird je wieder auf Erden wandeln.«
    Ich erinnerte mich an Westmorelands Wahnidee, die ihn dazu gebracht hatte, die Madonna aus der Church of Angels zu stehlen. »Wie haben Sie die

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