Kalt, kaltes Herz
Durchdrehen sind, was glauben Sie, hat sie mir gesagt?«
Ich konnte meinen Ekel nicht länger verbergen. »Keine Ahnung«, fuhr ich ihn an.
»Machen Sie sich nicht schlechter, als Sie sind. Wie sollten Sie das auch wissen? Sie beugt sich vor und flüstert mir ins Ohr, daß sie ...« Er begann zu lachen.
»Sie ...«
»Sie sagt mir, daß sie ...« Er kicherte so hysterisch, daß er kaum weiterreden konnte. »Sie sagt mir, daß sie ... mich liebt.« Mir wurde übel. »Und deshalb haben Sie sie umgebracht«, stellte ich fest.
»Prima. Sie sind wunderbar.« Er wurde plötzlich ernst. »Ich weiß nicht, wer von uns beiden neurotischer ist.«
»Warum haben Sie sie zerstückelt?« fragte ich.
»Zerstückelt? Wie? Was meinen Sie damit?«
»Ich komme gerade aus der Gerichtsmedizin. Ihre Brüste und Genitalien sind verstümmelt. Warum haben Sie das getan?«
»Aus der Gerichtsmedizin ...« Er starrte mich verständnislos an. »Ich weiß von nichts. Warum sollte ich das tun?« Ohne Vorwarnung trat er aufs Gaspedal.
Ich konnte gerade noch seinem Hinterreifen ausweichen. Hart schlug ich auf dem Boden auf. Mich durchfuhr ein stechender Schmerz, als wären mir die Rippen eingedrückt worden. Ich rappelte mich auf und blickte suchend über den Parkplatz. Der Ferrari hielt an der Ausfahrt. Einen Moment lang blieb er stehen, dann raste er auf mich zu. Hastig schleppte ich mich zu den Treppenstufen.
Mit schlitternden Reifen kam der Wagen an der Stelle, wo wir vorhin miteinander gesprochen hatten, zum Stehen. Lucas stieg aus und kam näher.
Eineinhalb Meter, also außerhalb der Reichweite meiner Fäuste, hielt er an. »Entschuldigen Sie, Frank«, sagte er, »aber ich habe es satt, daß Sie mich schlechtmachen. Ich bin zufällig einer der ehrlichsten Menschen, die Ihnen je über den Weg laufen werden. Wenn ich jemanden umbringen würde, dann hätte ich dafür meine Gründe, und dann würde ich dafür auch die Verantwortung übernehmen.« Damit wandte er sich ab, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Ich klopfte mir den Staub von den Kleidern und schleppte mich in den Rover. Nachdem ich die Türen verriegelt hatte, tastete ich meine Rippen nach Blessuren ab. Diese Untersuchung hatte ich schon lange vor meinem Medizinstudium kennengelernt. Als ich dreizehn war, hatte mir mein Vater mit einem Schlag zwei Rippen gebrochen. Ich habe vergessen, was ihn damals so in Wut versetzt hatte, und vielleicht wußte er es zu jenem Zeitpunkt selbst auch nicht. Doch ich erinnere mich noch gut, daß ich Henry Harris, dem Hausarzt unserer Familie, vorlog, ich hätte mich verletzt, als ich beim Basketballspiel im Park einem tiefangesetzten Ball nachtauchte. Harris war bei den Marines Boxer gewesen, und noch immer bewegte er sich geschmeidig wie eine Katze. Seine Finger tanzten über meine Rippen und meinen Brustkorb, während er mich aufmerksam beobachtete, damit ihm kein Zeichen des Schmerzes entging und er die Brüche genau lokalisieren konnte. Dabei erklärte er mir, wie man sich richtig hinfallen ließ, mit den Füßen voranschlitterte, ohne dabei den Korb aus den Augen zu verlieren. Nachdem er mir eine elastische Rippenbinde angelegt hatte, hob er mich mühelos auf, setzte mich auf das weiße Krepppapier, das heute wohl jeden Untersuchungstisch der Welt bedeckt, und gab mir noch etwas mit auf den Weg: »Du gehst jetzt nach Hause und ruhst dich aus. Ich werde mit deinem Vater mal ein Wort über Sportverletzungen sprechen. Wenn dir so was mal wieder passiert, kommst du auf der Stelle zu mir und berichtest mir davon.«
Als mein Vater nach Hause zurückkehrte, war seine Lippe aufgeplatzt und eines seiner Augen zugeschwollen. Später, als ich das Ohr an die Badezimmertür legte, hörte ich ihn zum erstenmal in meinem Leben weinen, und – ebenfalls zum erstenmal – spürte ich, daß ich ihn liebte, ihn immer lieben würde, trotz allem, was geschehen war. Doch damit wurden die Schläge nur noch schwerer zu ertragen.
Ich konnte keinen Bruch entdecken. Mein Atem ging regelmäßig, also brauchte ich mir um einen Lungenriß keine Sorgen zu machen. Doch das Erlebnis hatte mich sehr mitgenommen. Ohne nachzudenken, zog ich den Beutel mit dem weißen Pulver aus dem Handschuhfach. Zum Trost.
Trost.
War es wirklich das, was ich brauchte? Welcher Unterschied bestand eigentlich zwischen Trost und Betäubung? Wie sollte ich die Motive eines Mörders ergründen, die immer auch mit leid zusammenhängen, wenn ich selbst alles daran setzte, meinen eigenen
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