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Kalt, kaltes Herz

Kalt, kaltes Herz

Titel: Kalt, kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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mitteilen, daß sich ihre Nichte nicht prostituiert hatte – jedenfalls nicht für Geld. »Ich wollte eigentlich schon viel früher kommen und dir das alles selbst sagen.«
    »Mich wundert, daß du es überhaupt geschafft hast.«
    Ich überlegte kurz. »Mich auch«, sagte ich.
    »Aber du bist gekommen.« Sie sah aus dem Fenster auf die Tobin Bridge. »Weißt du, daß du nicht gut schläfst?«
    »Ja. Habe ich mich irgendwie komisch benommen?«
    »Komisch nicht.« Sie drehte sich wieder zu mir um. »Du hast das Gesicht verzogen. Dich zusammengekrümmt. Dich herumgewälzt. Geschrien.«
    »Seit ich denken kann, habe ich Alpträume.«
    »Was passiert darin?«
    Ich wollte Rachel weder zu meiner Patientin noch zu meiner Therapeutin machen. »Ich laufe um mein Leben«, sagte ich und beließ es dabei.
    »Aber wovor läufst du weg? Wovor hast du Angst?«
    »Vor nichts.«
    Sie wirkte skeptisch. »Ich glaube, du brauchst einen Schutzengel, bis du die Ursache dafür kennst.« Ich mußte lächeln. »Ja, einen Schutzengel hätte ich schon lange brauchen können.«

12
    Donnerstag, 18:55
    Rachel fuhr zum Lynx Club, und ich machte mich auf den Weg zur ück nach Marblehead. Ich war melancholisch gestimmt und hatte ein flaues Gefühl im Magen. Als ich den Lynnway zur Hälfte zurückgelegt hatte, rief ich vom Rover aus in Emma Hancocks Büro an. Sie war unterwegs, vermutlich suchte sie Lucas. Ich hatte größte Lust, die Ausfahrt in die Stadt zu nehmen und mir vor dem Emerson Hotel eine Nase zu genehmigen. Während ich mit diesem Gedanken spielte, fuhr ich mit der Zunge immer wieder über das Zahnfleisch, und weil ich mir vorstellte, wie das Gewebe taub wurde, mußte ich ständig schlucken. Mir fiel ein, daß mir der kalte Entzug gesundheitlich schaden könnte. Wahrscheinlich würde ich meinen Neuronen einen größeren Gefallen tun, wenn ich das Kokain langsam absetzte, besonders angesichts der momentanen Streßsituation. Doch von den Suchtpatienten, die ich behandelt hatte, wußte ich, daß derartige Rationalisierungen ein Zeichen von Abhängigkeit sind.
Abhängigkeit.
Kein Wort eignete sich besser, mein Verhältnis zum Kokain zu beschreiben. Immer wieder hatte ich nach chemischen Substanzen gegriffen, wenn ich eigentlich eine Schulter gebraucht hätte, an der ich mich hätte ausweinen können.
    Ich zündete mir eine Marlboro an, zog tief den Rauch ein und fuhr an der Ausfahrt vorbei.
    Wenn es mir tatsächlich so schwerfiel, Schwäche zu zeigen, welche Rolle spielte dann Kathy in meinem Leben? Bot sie mir Zuflucht? Ich schüttelte den Kopf, als ich daran dachte, wie wir darum gewetteifert hatten, wer am längsten unter der kalten Dusche stehen konnte. Mehr als einmal hatten wir brennende Streichhölzer in den Fingern gehalten und abgewartet, wer als letzter die Flamme ausblies. Beim Feuer hatte ich genauso schlecht abgeschnitten wie beim Wasser. Doch was hatte es für einen Sinn, sein Durchhaltevermögen im Ertragen von Schmerz zu testen, wenn die Grundlage unserer Beziehung darin bestand, den Schmerz zu leugnen?
    Ich zog an der Zigarette und blies den Rauch an die Windschutzscheibe.
    Aber könnte ich mit einer Frau wie Rachel zusammenleben, die ein klares Verhältnis zum Schmerz hatte? Mir fiel die Photographie der alten Frau mit dem Sauerstofftank in Rachels Wohnung ein. Ich dachte an das ausgestopfte Tier unter ihrem Couchtisch – ein Kojote, der einen Waschbären in den Klauen hielt und ihm im nächsten Augenblick mit einem Biß das Genick brechen würde. Schreckte ich vor echter Nähe zurück, weil ich fürchtete, vereinnahmt zu werden? Glaubte ich wirklich, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können, indem ich mich vor dem Leben drückte? »Verflixt! Zu viele Fragen auf einmal«, stieß ich hervor. Ich grübelte zu viel. Zwanghaft. Hinter Grübelzwang verbarg sich oft eine Abwehr von Gefühlen. Vor ein paar Jahren hatte ich es mit den Meditationstechniken des Zen-Buddhismus versucht, jedenfalls soweit sie mir aus Büchern zugänglich wurden. Doch nie hatte sich bei mir der Zustand der Gedankenleere und der Wunschlosigkeit eingestellt – außer wenn ich stoned war. So kam es mir jedenfalls vor. Ich warf meine Kippe aus dem Fenster und brauste auf der Stadtautobahn weiter in Richtung Marblehead. Dort bog ich nach rechts in die Atlantic Avenue und noch einmal nach rechts in die Preston Beach Road ein. Das Haus war dunkel, nur im Badezimmer schimmerte Licht. Ich überlegte, ob ich es versehentlich hatte brennen lassen, doch als

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