Kalt kommt der Tod (German Edition)
sich um das Opfer kümmerten, während ihr Kumpel das Lösegeld einsackte?
Mehr als ein Dutzend Mal hatte er sich die Stimme des Anrufers auf dem Band angehört. »Hunderttausend Euro, in kleinen Scheinen, ohne Nummern.«
Ein Satz, der durch jeden drittklassigen Hollywood-Film zieht. Aber welcher Trottel forderte nur hunderttausend Euro Lösegeld für eine echte Präsidentengattin?, dachte Packer. Das ergab keinen Sinn.
Diese Überlegungen trieben ihn zu der Einsicht, dass es sich um einen verzweifelten Einzeltäter handeln musste. Auch das war klug. Der Polizeipsychologe bestätigte seine Annahme, schloss aber nicht aus, dass es weitere Täter geben könnte. Was Psychologen eben so sagen, wenn es noch keine Gewissheit gibt.
Packer gab das Zeichen, den Mann zu überwältigen. Und das war weniger klug.
Drei Männer des SEK waren bereits ziemlich nah an ihn herangekommen, als er sie bemerkte. Er zog eine Walter PPK aus dem Schlafsack, schob sich den Lauf in den Mund und drückte ab. Für Packer auf seinem weit entfernten Logenplatz lief die Szene im Zeitraffer ab, in Wirklichkeit geschah alles in weniger als zehn Sekunden.
Später stellte sich heraus, dass der Entführer tatsächlich ein Einzeltäter gewesen war. Ein Platzwart, eine kleine Nummer. Der Verein hatte ihm nach einem längeren Gefängnisaufenthalt wegen Körperverletzung eine zweite Chance gegeben.
Ein paar Wochen vor der Entführung hatte er seine alten Freunde zu einem Grillabend ins Weserstadion eingeladen, um ein bisschen anzugeben. Im Mittelkreis warfen sie Nackensteaks und Bratwürste auf den mitgebrachten Grill, hockten sich ins Gras und tranken Bier aus Dosen. Als die Sache aufflog, war er gefeuert worden.
Zwei Wochen nach seinem Selbstmord wurde auf einem Segelboot im Grohner Yachthafen, der »Admiral Anneka«, die Leiche einer verhungerten Frau gefunden, die in der Kajüte geknebelt an den fest verschraubten Kajütentisch gefesselt war. Ein Skipper vom Nachbarboot hatte die Polizei alarmiert, als der Verwesungsgeruch durch die Ritzen gedrungen war.
Drei Stunden nach ihrer Entdeckung reichte Packer seinen Rücktritt ein. Das war das Ende seiner vielversprechenden Polizeikarriere gewesen.
11
Der alte Riesenberg wechselte das Thema: »Du kennst Jenna noch nicht.«
Er drehte den Rollstuhl ein Mal um die eigene Achse.
Schon beim Eintreten hatte Packer die junge Frau auf dem Sofa bemerkt. Sie war eine Schönheit plus, die Art Frau, die andere Frauen wütend macht, wenn sie nur einen Raum betritt.
Ihr Gesicht wurde von langen blonden Haaren eingerahmt, aber was ihn umhaute, war die Farbe ihrer Augen. Huskyaugen. Ozeanblau. Ihr diskret aufgetragenes Make-up war nur für ein geübtes Auge auszumachen, sonst so gut wie unsichtbar.
Jeans mit eingesteckter weißer Bluse. War ihr nicht zu kalt bei diesem Wetter?
Kaum der Rede werte Anzeichen von Brüsten. Das mit den Brüsten machte ihm bei ihr nichts aus – worüber er bei Gelegenheit nachdenken musste, denn eigentlich hatte er gern mehr davon.
»Jenna kann euch helfen«, sagte Riesenberg. »Türen öffnen. Kontakte knüpfen, hier und da ein bisschen was bewegen. Sie und Carolin haben zusammen studiert und waren zwei Jahre in Longyearbyen. Sie kennt sich aus.«
»Wird das ein Betriebsausflug?«, fragte Packer.
Ungeachtet seiner Ironie meinte Jenna Harbers: »Ich fahre Schneemobil, habe keine Angst vor Eisbären und schieße ziemlich gut. Was noch? Ich war mit dem Direktor der Universität im Bett, und er schuldet mir einen Gefallen. Ich glaube, ihm hat’s Spaß gemacht, was ich von mir nicht behaupten kann.«
Packer sagte nichts, sah sie nur an, nickte. Er fand sie libellesk, ein bisschen schwierig in die tagtägliche Konversation einzuflechten, na klar, aber auf sie traf diese Bezeichnung absolut zu.
Von solchen Wortkreationen hatte er einige auf Lager. Er notierte sie sich, seit er lesen und schreiben konnte, in einem schwarzen Büchlein, das er ständig bei sich trug. Libellesk bedeutete: von federleichter Eleganz, jemand, der vorwärts- und rückwärtsfliegen kann.
Er beschloss, sie zu mögen.
Als Nächstes fiel sein Blick auf jene Dame, die neben Jenna auf dem Sofa thronte. Sie war mehr als doppelt so alt wie Jenna und hatte ein Geldgesicht: operierte Nase, Schlupflider gerichtet, Botox gespritzt. Alles glatt und obstig. Sie klackerte mit einem Fingernagel gegen ihre Kaffeetasse: Aveline Riesenberg, die zweite Frau Riesenberg, mehr Knochen als Fleisch. Sie sagte, und ihre Worte
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