Kalt kommt der Tod (German Edition)
mit zwei Mädchen geschlafen und wusste genau, worauf ihr Geknutsche hinauslaufen würde.
Und er ließ es zu.
Eine Stunde später war es vorbei. Sie lagen erschöpft und aufgewühlt auf dem Bett. Er war sich nicht sicher, was er beunruhigender fand: die unfassbare Nähe, die ihn durchströmte, oder der Gedanke daran, etwas Verbotenes getan zu haben. Er versuchte, Worte zu finden, aber seine Stimme hinkte seinen Gedanken hinterher.
»Schschsch«, machte Carolin. »Es ist alles gut. Wir haben doch gewusst, dass es irgendwann so sein würde. Ich wusste es jedenfalls. Immer.«
Also sagte Phong: »Wie wär’s, wenn ich dir meine Telefonnummer gebe?«
Carolin prustete laut vor Lachen.
Ehe sie sich darüber klar werden konnten, was die neue Situation für sie bedeutete und wie sie damit umgehen wollten, klopfte es an der Tür, und Aveline Riesenberg betrat das Zimmer.
»Was …?«
Da stand sie in ihrem blau-weißen Ringelpullover, der weißen Hose und den Deckschuhen mit weißen Sohlen und bebte vor Zorn. Sie stürmte auf das Bett zu und schlug auf Phong ein.
»Raus! Raus aus meinem Haus! Auf der Stelle. Mach, dass du aus meinem Haus kommst!«
Phong riss die Arme hoch.
Carolin schrie: »Mama!«
»Aus meinem Haus, sage ich! Und du, geh auf dein Zimmer. Sofort! Wir unterhalten uns später.« Carolin raffte weinend ihre Sachen zusammen.
Endlich ließ Aveline Riesenberg von Phong ab, aber sie kreischte und rannte im Zimmer hin und her. »Du hast sie gefickt. Meine Tochter! Mein Sohn fickt meine Tochter. Seine Schwester.«
»Ich bin nicht dein Sohn«, entgegnete Phong ruhig. Er zog seine Jeans an und streifte sich das T-Shirt über den Kopf. »Das war ich nie.«
Sie hockte auf seinem Schreibtischstuhl und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
»Du hast dich allem widersetzt. Wir haben es gut mit dir gemeint, aber du hast immer nur das gemacht, was du wolltest, ohne Rücksicht zu nehmen. Und so dankst du es uns.«
Nicht übel, diese kleine Szene, dachte Phong. Wer Aveline Riesenberg nicht kannte, würde ihr das Theater mit Sicherheit abnehmen. Aber er kannte sie.
»Wäre mir neu«, sagte er. »Wie soll das in diesem Haus möglich gewesen sein, wo du jeden kontrollierst, rund um die Uhr, jeden Tag, als wäre er ein Dieb oder ein Idiot.«
»Schweig!«, herrschte sie ihn an. »Hätte ich bloß auf unsere Freunde gehört, die mich davor gewarnt haben, dich zu adoptieren.«
»Das wäre für alle das Beste gewesen.«
»Sie haben versucht, es mir auszureden.«
»Klar, über mich reden die Leute. In der Schule, auf der Straße. Seht euch das Schlitzauge an, was macht der hier? Und ihr? Habt einfach zugeschaut und weggehört, als wäre es euch peinlich, mit mir gesehen zu werden. Für deine karitativen Veranstaltungen hast du mich hervorgeholt und herausgeputzt. Ist er nicht süß, unser kleiner Phong? Wir sind ja so stolz auf ihn. Als ich alt genug war und begriff, was das für ein erbärmliches Spiel ist, hab ich mich geschämt. Für euch hab ich mich geschämt. Für mich war es nur zum Kotzen.«
In diesem Augenblick platzte der alte Riesenberg herein. Er sah genauso bescheuert aus wie seine Frau in den Segelklamotten, die ihm standen wie ein Jogginganzug einem Oberkellner.
»Was ist hier los?«
Seine Frau zeigte auf Phong. Ihr Gesicht: eine hässliche Fratze.
»Er hat Carolin vergewaltigt«, sagte sie.
»Verrückter Quatsch«, sagte Phong.
»Ich hab ihn erwischt. Wenn du mir nicht glaubst, frag Carolin, sie ist auf ihrem Zimmer.«
»Du hast mit ihr geschlafen?«, fragte Riesenberg. »Hab ich das so weit richtig erfasst?«
»Das trifft es schon eher«, erwiderte Phong.
»Hörst du, wie er mit uns redet?«, zeterte Aveline Riesenberg.
»Lass uns allein«, sagte der Alte und öffnete seine Gürtelschnalle.
»Ich …«
»Du gehst sofort raus!«, brüllte er seine Frau an. »Ich hab hier noch was zu erledigen.«
Als sie sich noch einmal umdrehte, ehe sie die Tür hinter sich schloss, sah Phong, wie um ihren Mund ein kaum sichtbares Lächeln zuckte.
Riesenberg zog den Gürtel aus den Schlaufen.
»Und jetzt zu dir, mein Sohn.«
Phong nahm seinen Talisman aus Vietnam vom Nachttisch. Da lag er immer, der Bambus. Damit er ihn jederzeit sehen und an seine Heimat denken konnte.
»Das kann ich dir nicht durchgehen lassen, Phong«, sagte Riesenberg. »Das ist dir doch klar.«
Er wickelte sich das Ende mit der Gürtelschnalle zweimal um die Hand.
»Und leg das verdammte Ding da weg«, sagte er mit Blick auf den
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