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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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«
    In Anbetracht Shepherds pathologischer Schüchternheit und seiner fanatischen Reinlichkeit hätte er sich wohl eher auf dem Gehsteig zusammengerollt, um in der glühenden Wüstenhitze auszudörren, statt sich in aller Öffentlichkeit zu erleichtern.
    » Shep «, fuhr Dylan unerbittlich fort, » wenn du mir keine Antwort geben kannst, dann muss ich annehmen, dass du tatsächlich überall pinkeln würdest, wenn dich zufällig die Blase drückt. «
    Shepherd trat von einem Fuß auf den anderen. Wieder fiel ihm ein Schweißtropfen von der Nasenspitze. Möglicherweise war nur die Sommerhitze daran schuld, aber es sah eher nach nervösem Schweiß aus.
    » Nehmen wir mal an, eine nette alte Dame würde hier vorbeikommen, würdest du ihr dann ohne Vorwarnung auf die Schuhe pinkeln? «, fragte Dylan. » Müssen wir uns wegen so was Sorgen machen, Shep? Komm, Shep, sag ’ s mir! «
    Nachdem Jilly mittlerweile fast sechzehn Stunden mit den Brüdern O ’ Conner verbracht hatte, begriff sie, weshalb Dylan ein Problem gelegentlich hartnäckig oder gar stur verfolgen musste, um Shepherds Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und den erwünschten Eindruck zu hinterlassen. Die bewundernswerte Beharrlichkeit, mit der er seinem autistischen Bruder auf die Sprünge half, sah manchmal allerdings unangenehm nach Schikane oder gar echter Gemeinheit aus.
    » Da kommt also nicht nur eine nette alte Dame, sondern auch ein Pfarrer des Wegs, und bevor ich merke, was los ist, pinkelst du ihnen auf die Schuhe. Hast du so was in Zukunft vor, Shep? Wie steht ’ s damit, Kleiner? Na? «
    Dylan war anzusehen, dass ihn diese Tirade ebenso strapazierte wie seinen Bruder. Während seine Stimme schärfer und eindringlicher wurde, zog sich sein Gesicht nicht etwa zu einem Ausdruck der Ungeduld oder Wut zusammen, sondern vor Schmerz. In seinem Blick lag Bedauern, vielleicht sogar Mitleid.
    » Na, wie steht es, Shep? Hast du plötzlich beschlossen, unanständige, eklige Dinge zu tun? Hast du das? Sag ’ s mir, Shep! Shepherd? Sag ’ s mir! «
    » N-nein «, erwiderte Shep endlich.
    » Was hast du gesagt? Hast du nein gesagt, Shep? «
    » Ja. Shep hat nein gesagt. «
    » Du wirst also nicht anfangen, alten Damen auf die Schuhe zu pinkeln? «
    » Nein. «
    » Du wirst keine ekligen Dinge in der Öffentlichkeit tun? «
    » Nein. «
    » Das freut mich, Shep. Ich hab nämlich schon immer gedacht, dass du ein guter Kerl bist, ein ganz lieber. Ich freue mich, dass du mir keine Schande machen wirst, das würde mir nämlich das Herz brechen, Kleiner. Ehrlich, ganz viele Leute fühlen sich beleidigt, wenn man vor ihren Augen angefaltet kommt oder sich wegfaltet. Das beleidigt sie genauso, als würde man ihnen auf die Schuhe pinkeln. «
    » Echt? «, sagte Shep.
    » Ja, echt. Es ekelt sie an. «
    » Echt? «
    »Ja.«
    » Wieso? «
    » Tja, wieso ekeln dich eigentlich diese harmlosen kleinen Goldfischli an? «, fragte Dylan.
    Shep schwieg und blickte stirnrunzelnd auf den Gehsteig, als hätte ihn der abrupte Themenwechsel aus dem Konzept gebracht.
    Der Himmel war zu heiß für Vogelflug. Die Sonne flackerte so grell in den Fenstern und kräuselte sich so flüssig auf dem Lack der vorbeifahrenden Autos, dass diese wie spiegelnde Schemen eines Traums vorüberglitten. Auf der anderen Straßenseite schimmerten hinter den flirrenden Hitzeschwaden, die vom Pflaster aufstiegen, ein weiteres Motel und eine Tankstelle, kaum wirklicher als die Gebilde einer Fata Morgana.
    Gerade erst war Jilly auf wundersame Weise von einem Ort an den anderen gefaltet worden, und nun stand sie auch noc h i n dieser surrealen Umgebung und hatte eine so bizarre Zukunft vor sich, dass sie sich manchmal bestimmt vorkommen würde wie in einer hartnäckigen Halluzination. Trotzdem unterhielten sich die beiden O ’ Conners über etwas so Banales wie ein Knabbergebäck namens Goldfischli. Vielleicht gehörte ja eine gewisse Absurdität zu jeder Erfahrung, die einem zeigte, dass man am Leben war und nicht tot oder in einem Traum, waren Träume doch erfüllt von geheimnisvollen oder schrecklichen Dingen, nicht von der Absurdität einer Slapstickkomödie, und das Jenseits war bestimmt auch nicht so ungereimt und absurd wie das Leben, sonst gäbe es ja keinen Grund, irgendwann einmal ins Jenseits überzuwechseln.
    » Wieso ekeln dich diese kleinen Goldfischli denn so an? «, fragte Dylan noch einmal. » Ist es, weil sie so rund sind? «
    » Bauchig «, sagte Shepherd.
    » Sie sind rund und bauchig,

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