Kalt
und das findest du eklig. «
» Bauchig. «
» Aber viele Leute mögen Goldfischli, Shep. Viele Leute futtern sie täglich. «
Shep schauderte sichtlich bei dem Gedanken an fanatische Goldfischli-Esser.
» Würdest du gern gezwungen sein zuzuschauen, wie jemand vor dir Goldfischli futtert, Shep? «
Als Jilly den Kopf schräg legte, um Shep besser ins Gesicht blicken zu können, sah sie, wie seine Miene sich deutlich verfinsterte.
Dylan ließ nicht locker. » Selbst wenn du die Augen zukneifen könntest, um nichts mehr zu sehen: Würdest du gern zwischen Leuten sitzen, die Goldfischli futtern, und dir das ganze Knuspern und Knirschen anhören müssen? «
Shep würgte, offenbar aus echtem Ekel.
» Ich mag Goldfischli, Shep, aber weil sie dich anekeln, esse ich keine. Stattdessen esse ich Butterkekse. Würde es dir gefallen, wenn ich von nun an ständig Goldfischli futtern und si e ü berall herumliegen lassen würde, wo du sie sehen könntest? Wo du darauf stoßen würdest, wenn du es gar nicht erwartest? Wärst du wohl damit einverstanden, Shep? «
Shepherd schüttelte heftig den Kopf.
» Wärst du damit einverstanden Shep? Sag ’ s mir! Shep? «
» Nein. «
» Manche Dinge, die uns überhaupt nicht stören, stören vielleicht andere Leute, und deshalb müssen wir Rücksicht auf deren Gefühle nehmen, wenn wir wollen, dass sie Rücksicht auf unsere nehmen. «
» Ich weiß. «
» Gut! Deshalb futtern wir vor bestimmten Leuten keine Goldfischli … «
» Keine Goldfischli. «
» … und wir pinkeln nicht in der Öffentlichkeit … «
» Kein Pinkeln. «
» … und wir falten uns nirgendwo hin oder weg, wenn jemand uns sehen kann. «
» Kein Falten. «
» Keine Goldfischli, kein Pinkeln, kein Falten «, fasste Dylan zusammen.
» Keine Goldfischli, kein Pinkeln, kein Falten «, wiederholte Shep.
Obwohl Dylans Gesicht noch immer zu einem qualvollen Ausdruck zusammengezogen war, sprach er jetzt in einem weicheren, liebevolleren Ton und mit deutlicher Erleichterung.
» Ich bin stolz auf dich, Shep. «
» Keine Goldfischli, kein Pinkeln, kein Falten. «
» Ich bin sehr stolz auf dich. Und ich hab dich lieb, Shep. Weißt du das? Ich hab dich lieb, kleiner Bruder. « Dylans Stimme klang belegt, und er wandte sich von Shepherd ab. Jilly sah er auch nicht an, vielleicht weil er das nicht tun konnte, ohne die Fassung zu verlieren. Er betrachtete ernst seine großen Hände, als hätte er etwas damit getan, dessen er sic h s chämte. Dabei atmete er mehrmals langsam und tief ein und aus, bevor er mitten in Shepherds verlegenes Schweigen hinein wiederholte: » Weißt du, dass ich dich sehr lieb habe? «
» In Ordnung «, sagte Shep ruhig.
» In Ordnung «, sagte Dylan. » Na dann, in Ordnung. «
Shepherd wischte sich mit der Hand den Schweiß vom Gesicht und trocknete sie dann an den Jeans ab. » In Ordnung. «
Als Dylan ihr endlich doch in die Augen schaute, sah Jilly, wie schwierig es für ihn gewesen sein musste, seinen Bruder so zu schikanieren, und auch ihre Stimme klang belegt. » Also … was jetzt? «, fragte sie.
Dylan tastete nach seiner Geldbörse. » Jetzt gehen wir Mittag essen. «
» Im Zimmer läuft noch der Computer. «
» Dem schadet das nicht. Außerdem ist die Tür verschlossen, und ich hab draußen das Schild hingehängt, dass man uns nicht stören soll. «
Nach wie vor glitten Autos in gleißenden Wellen vorbei, und die Gebäude auf der anderen Straßenseite schimmerten immer noch wie eine Erscheinung.
Jetzt kommt es wieder, dachte Jilly, das silberhelle Lachen von Kindern und der Duft von Weihrauch. Jetzt wird gleich die Kirchenbank mit der verschleierten Frau mitten auf dem Parkplatz stehen, jetzt werde ich das Brausen von Flügeln spüren, weil ein Strom weißer Vögel sich aus dem vogellosen Himmel stürzt.
Auf einmal griff Shepherd unerwartet nach ihrer Hand, ohne den Kopf zu heben, und die Gegenwart wurde zu wirklich für Visionen.
Sie gingen hinein. Jilly half Shep, den Weg zu finden, damit er nicht aufschauen und Blickkontakt mit Fremden riskieren musste.
Verglichen mit dem Tag draußen, fühlte sich die Luft im Café so an, als wäre sie direkt aus der Arktis herbefördert worden. Aber Jilly war nicht kalt.
*
Dylan verdarb die Vorstellung, dass hunderttausende oder Millionen mikroskopischer Maschinen durch sein Gehirn schwärmten, so sehr den Appetit, dass er paradoxerweise fast selbst wie eine sich auftankende Maschine aß, ohne das Essen zu genießen.
Shep
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