Kalte Haut
ein weiterer Pfleger vorbei, noch seltener Angehörige, die Kranke besuchten.
»Frau Hauptkommissarin?«
Vor ihr stand ein Mann in legerem Jackett, Jeans und Golfschuhen. Er kam Sera entfernt bekannt war, aber sie konnte ihm keinen Namen zuordnen.
Als wüsste er um ihre Not, lächelte er. »Es ist jedes Mal das Gleiche: In Zivil erkennen mich die Leute nicht.«
Sera stellte sich ihn in Haube, Mundschutz und Kittel vor. »Dr. Rösner?«
»Treffer, versenkt.« Er reichte ihr die Hand. »Was machen Sie hier?«
Gute Frage. Eigentlich hätte Sera nach dem gemeinsamen Frühstück mit Gerry aufs Präsidium fahren müssen. Dr. Salm verlangte einen Zwischenbericht, weil der leitende Staatsanwalt eine Presseerklärung herausgeben wollte. Doch unterwegs hatte sie sich innerhalb weniger Sekunden umentschieden und eine Abzweigung nach Kreuzberg genommen.
»Wie steht es um Frau Gökcan?«, fragte sie.
»Sie ist noch nicht vernehmungsfähig, wenn Sie das meinen.«
»Nein, ich wollte mich nur erkundigen, wie es ihr geht.«
»Sind Sie mit ihr verwandt?« Der Arzt zog die Augenbrauen hoch.
Sera verneinte.
»Beruflich ist Ihr Besuch aber auch nicht wirklich?«
Ja und nein. Schon wieder bekam Sera ein schlechtes Gewissen. »Sagen wir mal so: Ich mache mir einfach Sorgen.«
»Es ist selten, dass Polizisten sich für das Wohlbefinden der Opfer interessieren. Meist geht es denen nur um die Täter.«
»Ausnahmen bestätigen die Regel.«
»Verstehe.« Sein Gesicht ließ keinen Zweifel, dass er genau das nicht tat. »Aber Ihre Sorge ist unbegründet. Frau Gökcan ist auf dem Weg der Besserung. Wenn alles gut läuft, werden wir die Sedierung schon morgen früh absetzen können.«
Sera nickte erleichtert. »Werden die Verletzungen denn Beeinträchtigungen hinterlassen?«
»Sie wird einer Phase der Rekonvaleszenz bedürfen, aber nein, sie wird keinerlei körperliche Einbußen erleiden. Was dagegen die seelischen Schäden betrifft …« Er hob hilflos die Schultern. »Frau Hauptkommissarin, kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Sera verneinte, bedankte sich und verließ mit gemischten Gefühlen das Krankenhaus. Auf dem Parkplatz gönnte sie sich einige Minuten im warmen Sonnenschein des erwachenden Tages. Ein kleiner Kahn schipperte auf dem Landwehrkanal, an dessen Ufer das Klinikum lag.
Die Großstadtidylle wurde durch einen rostigen Honda Civic gestört, der röhrend vorfuhr. Eva Fischer, Adiles Freundin, und ihr Bruder Sebastian stiegen aus dem alten Wagen und steuerten sofort auf Sera zu.
»Waren Sie bei Adile?«, wollte der junge Mann wissen.
»Ich habe mit ihrem Arzt gesprochen.«
»Sie ist auf dem Weg der Besserung.«
»Ja, das sagte auch Dr. Rösner.«
Der Lastkahn tauchte unter der Brücke an der Admiralstraße ab. Nach etwa fünfhundert Metern würde er das Paul-Lincke-Ufer und den Hauseingang von Onkel Mergim passieren. Sera spürte die erwartungsvollen Blicke der Geschwister auf sich.
Sebastians Schultern sackten enttäuscht nach unten. »Sie haben ihn noch nicht gefasst?«
»Tut mir leid.«
Sein Blick suchte Seras Augen. »Erinnern Sie sich, was Sie mir versprochen haben?«
77
Tania las die Zeitung, die Hagen vom türkischen Sonntagsbäcker mitgebracht hatte. Die Ermittler halten es für möglich, dass der Mörder schon bald wieder zuschlägt. Prompt verstärkte sich ihr Unbehagen, und sie schob den Kurier beiseite. Sie hätte auf die Lektüre verzichten sollen.
»Ruf Robert an«, schlug Hagen vor, dem ihre Sorge nicht entging. »Vielleicht haben sie Ralf inzwischen gefasst.«
»Vorausgesetzt, er hat den Mord begangen.«
»Dann erkundige dich eben, was die Polizei herausgefunden hat.« Ihr Freund schnitt eine Ecke vom Butterwürfel ab und schmierte sie auf sein Brötchen.
Tania zog die Zeitung noch einmal zu sich herüber und überflog den Text. Zu ihrer Angst gesellte sich jetzt noch schlechtes Gewissen. Keine gute Mischung. »Ich bin mir nicht sicher, ob Robert mir noch etwas verraten wird.«
»Warum nicht?«
»Ich glaube, Hardy Sackowitz hat hier etwas geschrieben«, Tania tippte auf den Kurier, »das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.«
»Aber was hat das mit dir zu tun?«
»Er hat die Info von mir bekommen. Und ich hatte sie wiederum von Robert.«
Hagen legte eine Scheibe Wurst auf seine Brötchenhälfte. »Er hätte dir die Details wohl kaum verraten, wenn sie von der Polizei nicht freigegeben worden wären.«
»Mag sein«, zweifelte Tania und dachte an ihr Gespräch mit
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