Kalte Haut
roten Blutflecken, die den Teppich sprenkelten, und verließ die Wohnung. Er rannte die Stufen hinunter und blieb erst auf dem Bürgersteig stehen.
Wolken bedeckten jetzt den dämmernden Himmel, kündeten von einem baldigen Regenschauer. Passanten waren kaum unterwegs, ein Auto mit kaputtem Auspuff knatterte an ihm vorbei. Über die Friedrichstraße, ein Stück weit entfernt, schoss mit heulendem Martinshorn ein Krankenwagen.
Nur langsam beruhigte sich Roberts Puls. Als er sich zur U-Bahn-Station umdrehte, fühlte er sich beobachtet. Schnell wandte er sich um.
Max trat aus dem Schatten, die Hände grimmig in den Manteltaschen vergraben. »Bist du jetzt enttäuscht?«
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»Es tut mir leid, falls ich vorhin etwas …« Gesing bremste vor einer Ampel am Steglitzer Damm. Betreten sah er Sera an. »Falls ich etwas verraten haben sollte.«
»Ist schon okay.«
»Ich meine, du wirst schon deine Gründe haben, warum du nie ein Wort darüber verloren hast.«
Ungeduldig wartete Sera darauf, dass die Ampel auf Grün sprang, damit sie nach Dahlem weiterfahren konnten. Dort hatte Stanislaw Bodkema mit seiner Familie gelebt.
»Aber mir war schon seit einiger Zeit klar, dass du da was am Köcheln hast.«
Sera dachte an das Frühstück mit ihrer Familie am Donnerstag zurück. An jenem Morgen hatte sie nach dem anzüglichen Telefonat mit Gerry der Verdacht beschlichen, ihre Mutter hätte eine Ahnung. Dass du da was am Köcheln hast. Und offenbar war das auch ihrem Kollegen nicht entgangen. Andererseits kein Wunder, sie verbrachten mehr Zeit miteinander als so manches Ehepaar.
»Glaubst du etwa, das ist mir nicht aufgefallen?« Gesing gab Gas. »Deine ständigen SMS und die Telefonate? Du magst es zwar immer wieder bestritten haben, aber … Ich bin nicht ganz so dumm, wie ich aussehe.«
»Nee, stimmt.«
Er warf ihr einen pikierten Blick zu. »Ist mir ja eigentlich auch egal, ob oder mit wem du was hast. Und wenn du da ein Geheimnis draus machen willst, okay, ist deine Sache. Aber die Aktion vorhin in der Kneipe und deine Aufregung, als wir dort eintrafen – so habe ich dich noch nie erlebt. Da war mir dann irgendwie alles klar.«
»Schön«, grummelte Sera. Dass wenigstens einem von uns alles klar ist.
In ihrem Kopf dagegen kreisten noch immer ein Dutzend oder mehr Gedanken und stritten um ihre Aufmerksamkeit. Vor allem eine Bemerkung von Dr. Babicz ließ sie seit ihrem Aufbruch in Friedrichshain nicht mehr los. Das ist eine tollkühne Demonstration der Macht und Kontrolle, die er auszuüben glaubt – auch über uns, die Polizei.
Wenn der Mörder nichts dem Zufall überließ, an wen war dann seine Botschaft gerichtet? Ich weiß etwas über euch! Ich habe Macht über euch! An die Ermittler? Oder – ganz speziell –an sie, Sera? Ich weiß etwas über dich! Ich habe die Macht über dich! Aber warum?
Weil sie etwas zu verbergen hatte? Und zwar mehr als nur die Affäre mit Gerry? Sera war schon von Anfang an tiefer in den Fall involviert gewesen, als ihr lieb war, hatte aber zu keiner Zeit mit jemandem darüber gesprochen. Woher konnte der Täter also wissen, dass sie ihren Onkel verdächtigt hatte? Darauf gab es nur eine Antwort, aber … Nein, das ist absurd!
Es war schlimm genug, dass sie Onkel Mergim überhaupt die Verwicklung in einen politischen Mord zugetraut hatte, aber das hier, diese abscheulichen Verbrechen, das waren keine impulsiven Taten alter, verzopfter Männer mehr, sondern kühl kalkulierte Werke eines Serientäters. Aber macht das die Sache leichter?
Sera nahm ihr Handy und rief die SMS von Gerry auf. Kannst du mir bitte sagen, was das vorhin war? G.
Unglücklicherweise hatte sie selbst keine Ahnung. Woher wusste der Mörder von Gerry und ihr? Es gab zwei Möglichkeiten: Er hatte Sera beobachtet. Aber das wäre dir aufgefallen! Oder ihm war von ihrer Affäre erzählt worden. Falls ja, von wem?
Gesing parkte in eine Lücke an der Englerallee ein. Imponierende Jugendstilvillen reihten sich in respektvollem Abstand aneinander. Vor einem der Herrenhäuser standen sich Journalisten die Beine in den Bauch.
Inzwischen waren die Wolken am Himmel dichter geworden. Sie schoben sich vor die Sterne, brachten Dunkelheit und erste Regentropfen.
Ich melde mich später bei dir. S. , tippte Sera eine Textnachricht, dann schaltete sie ihr Handy aus.
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»Max, was machst du denn hier?«, fragte Robert überrascht.
Nachdenklich schaute sein Bruder zu den Fenstern im vierten Stock empor. »Ich wollte mit
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