Kalte Haut
dachte an den gestrigen Abend im Restaurant und an die unverhoffte Empfindung der Vertrautheit, die er in Nadines Anwesenheit gespürt hatte. Es war ein gutes Gefühl gewesen. So wie jetzt.
Aus dem Lautsprecher der Hi-Fi-Anlage wirbelte Salieri. Mensch! Deine Größe auf der Erde erwächst nicht aus deinem Stand, sondern einzig aus deinem Charakter.
Robert konnte nicht anders, als Nadines Lächeln zu erwidern. Doch gleich darauf verblasste es schon wieder. Wenn da nicht …
Als hätte sie seine Gedanken geahnt, glitt ihr Finger sanft über seine Lippen. »Es kommen andere Zeiten, bessere Zeiten«, wisperte sie.
Ihre Worte erschienen ihm wie eine magische Formel. Auch in Zukunft würde er sich mit Mördern und Verbrechern auseinandersetzen müssen, das ist mein Job, aber es würde anders als dieses Mal ablaufen, er würde nicht persönlich involviert sein.
»Robert?«
Nadines strahlendes Gesicht schwebte vor ihm. Sie schlang den Arm um seinen Hals, zog ihn zu sich herunter. Dann küsste sie ihn erneut, und er war ihr dankbar für die Ablenkung. Diesmal berührten sich ihre Zungen, zärtlich, spielerisch und ohne Eile.
Robert ließ sich auch nicht stören, als das Telefon klingelte. Wozu gibt es Anrufbeantworter? Den Lautsprecher hatte er leise gestellt, also war nichts zu hören, außer den Stimmen des Chores in Tarare, die mit Gefühl nach oben kletterten.
»Dein Telefon«, flüsterte Nadine, als sie von ihm abließ.
»Na und?«
»Vielleicht ist es wichtig.«
Wichtig ist das, was gerade passiert. Trotzdem stand er auf. »Ich werde den AB abhören.«
»Und ich geh währenddessen meinen Korkenzieher holen.« Nadine eilte ins Treppenhaus.
Unschlüssig stand Robert vor dem Anrufbeantworter, ließ die letzten Minuten Revue passieren. Glück durchströmte ihn. Alle Müdigkeit war fortgeblasen und der Jetlag vertrieben. Endlich!
Er drückte die Playtaste.
»Dr. Babicz? Es hat eine neue Entführung gegeben. Der Freund von Frau Herzberg. Ein Schriftsteller. Sein Name ist Hagen Rething. Rufen Sie mich zurück, sobald Sie die Nachricht abgehört haben.«
Freund von Frau Herzberg? Schriftsteller? Hagen Rething? Jedes einzelne Wort der Kommissarin war ein Schlag, der das Glück aus Robert wieder hinausprügelte.
Nadine kam ins Zimmer zurück. »Was ist passiert? Du bist bleich wie ein Gespenst.«
Robert wählte die Nummer von Sera Muth.
101
»Frau Muth«, tönte es ohne eine Begrüßung aus Seras iPhone, »sind Sie sicher, dass es sich um eine Entführung handelt?«
»Es ist der Freund von Frau Herzberg.«
Der Psychologe blieb einen kurzen Augenblick still. »Also gehen wir wieder davon aus, dass sie Dreh- und Angelpunkt dieser Taten ist?«
»Bei allen drei Entführungen war sie involviert, zu allen drei Opfern hat sie einen Bezug.«
»Konnten Sie schon mit ihr reden?«
»Sie steht unter Schock.«
»Soll ich das übernehmen?«, schlug Babicz vor.
»Heute nicht mehr.«
»Wollen Sie tatsächlich so viel Zeit verstreichen lassen?«
»Uns bleibt nichts anderes übrig«, bedauerte Sera. »Vorhin war ein Arzt bei ihr und hat ihr ein Beruhigungsmittel für die Nacht verabreicht.«
Gesing lenkte den Wagen über die Elsenbrücke. Der Regen hatte noch nicht nachgelassen, weshalb der Blick nicht weit über die Brüstung hinausreichte. Die Spree schlängelte sich finster wie eine heimtückische Schlange durch die nächtliche Stadt.
»Dr. Babicz, da ist noch etwas anderes, was mich nachdenklich stimmt«, sagte Sera. »Erst hat der Mörder zwei Tage bis zur nächsten Tat verstreichen lassen. Zwischen der zweiten und der dritten Entführung lagen jedoch nur noch ein paar Stunden.«
»Wenn ein Serientäter die Abstände zwischen seinen Taten verringert«, erwiderte Babicz, »wenn sich also sein Schema verändert, dann bedeutet das in der Regel, dass er unter Druck steht.«
»Was wohl auch der Grund dafür ist, dass wir von der Entführung erfahren haben, noch ehe der Mörder ein Foltervideo an die Presse schicken konnte.«
»Das könnte sein.«
»Übrigens wäre er gestern fast von einer Zeugin gesehen worden. Bodkemas Tochter erzählte, ihrem Vater sei gestern Abend im Restaurant ein Mann aufgefallen. Leider hat sie selbst ihn nicht richtig erkennen können. Ihre Beschreibung reicht nicht mal für ein aussagefähiges Phantombild.«
Der Psychologe schwieg.
»Dr. Babicz?«
»Ja, ja, das ist möglich. Der Mörder verliert also die Kontrolle. Wann, sagten Sie, soll ich mit Frau Herzberg reden?«
»Ich lasse
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