Kalte Haut
Jetzt.
»Können Sie mir einige Fragen beantworten?«
Ihr Lächeln wirkte fremd in dem von Tränen aufgelösten Gesicht. »Beantworten Sie mir eine Frage: Warum?«
»Warum was?«
»Warum ich?«
Eigentlich wollte ich das fragen. »Sie haben keine Erklärung dafür?«
»Verdammt, nein!« Tania Herzberg fuhr wie eine Furie auf. »Was meinen Sie, weshalb ich Sie frage?« Ihre Worte gingen in einem gurgelnden Laut unter, und sie sackte wieder in sich zusammen.
»Haben Sie Feinde?«, fragte Sera.
Die Journalistin reagierte nicht.
»Möglicherweise jemand, über den Sie berichtet haben?«
Sie schwieg.
»Jemand, der Ihnen das antun könnte? Dem Sie solche Taten zutrauen?«
Ein schluchzender Laut löste sich aus Tania Herzbergs Kehle. Eine Antwort?
»Wie bitte?«, vergewisserte sich Sera.
Die Stimme der Journalistin war nur ein leises Krächzen. »Karrenbacher!«
»Wer ist das?«
»Mein Kollege. Er ist … hat … den Job gewollt … Ressortleiter und …« Ihre Stimme brach unter dem Beben, das ihren Körper erschütterte. Sie brauchte mehrere Anläufe, um weiterzusprechen. »Aber Stanislaw … Herr Bodkema … Ich sollte den Posten bekommen. Karrenbacher … war sauer. Er hat …« Ihre Worte erstarben in einem neuerlichen Klagelaut. Tränen rannen ihre Wangen hinab.
Sera überlegte. Ein missgünstiger Kollege? War das denkbar?
»Frau Herzberg, unten wartet ein Arzt, der Ihnen ein Beruhigungsmittel geben wird. Danach bringen wir Sie an einen sicheren Ort, wo Beamte zu Ihrem Schutz abgestellt werden.«
»Was mit mir ist … ach, das ist doch egal«, schluchzte die Journalistin. »Suchen Sie lieber Hagen. Oder ist er … schon …?« Ihre Augen flackerten. »Gibt es schon ein Video ?«
Sera schrumpfte unter ihrem flehenden Blick zusammen. Aber noch bestand Hoffnung. »Nein.« Noch nicht.
100
Robert zog sich trockene Sachen an. Die nassen, verschmutzten Klamotten stopfte er in die Waschmaschine.
»Hast du einen Korkenzieher?«, rief Nadine aus dem Wohnzimmer.
Er dachte kurz nach. »In der oberen Schublade vom Sekretär müsste einer liegen.«
Er gab Waschpulver in die Trommel und schaltete die Maschine an. Während sie zu arbeiten begann, gesellte er sich zu seiner Nachbarin.
Nadine hatte die beiden Kerzen auf dem Regal angezündet, außerdem noch weitere in der Schublade des Sekretärs gefunden. Die Deckenleuchte hatte sie ausgeschaltet, so dass die flackernden kleinen Flammen den Raum in ein mildes, behagliches Licht tauchten.
»Irgendwie geht es nicht.« Nadine mühte sich mit der Weinflasche ab.
»Lass mal sehen.«
Auch Robert schaffte es nicht, die Flasche zu öffnen. Nur unter Aufbietung all seiner Kräfte konnte er zumindest das Werkzeug wieder aus dem Korken lösen. Er besah sich den Korkenzieher genauer. »Der kann auch gar nicht funktionieren. Er ist kaputt.«
»Und jetzt?«
Er durchstöberte die Küchenschubladen nach einer Alternative, fand aber keine.
»Ich glaube, ich bin ein schlechter Gastgeber«, bedauerte er.
»Bisher hast du dich ganz gut geschlagen.«
»Und mich jedes Mal aus dem Staub gemacht.«
»Du hattest deine Gründe dafür. Außerdem habe ich schon Schlimmeres erlebt.«
»Kein Kompliment«, lächelte er, »aber es tröstet mich ein wenig.«
Sie erwiderte sein Lächeln, doch zugleich huschte ein Schatten über ihr Gesicht, der nicht nur von den flackernden Kerzen stammte. Er sagte mehr als tausend Worte. Zum ersten Mal gewährte Nadine ihm einen Blick auf die Person hinter der ausgelassenen, humorvollen Fassade.
Er verspürte den Wunsch, sie in den Arm zu nehmen. Aber Mitleid war keine gute Grundlage für eine erste intime Berührung. Schnell wandte er sich der Stereoanlage zu. Salieri setzte zum zweiten Akt an. Sterblicher, wer du auch seist, Prinz, Brahmane oder Soldat.
Als Robert wieder zu Nadine schaute, stand sie überraschend nah vor ihm. Der frische Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Sein Blick traf ihre Augen, die heller als die Kerzen strahlten. Er konnte sich nicht von ihnen lösen. Was geschieht mit mir? Er beugte sich vor, wie von magischer Hand geführt. Nur wenige Zentimeter, dann berührten sich ihre Nasen, gleich darauf ihre Münder. Nadines Lippen waren weich, und die Wärme, die von ihnen ausging, stieg Robert zu Kopf. In seinen Ohren rauschte es.
Er wusste nicht, wie lange ihr Kuss dauerte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er eine Ewigkeit währen können. Irgendwann löste sich Nadine von ihm.
Sie lächelte.
Robert
Weitere Kostenlose Bücher