Kalte Haut
Verdacht, dass auch er nur eine Rolle im Stück des Mörders spielte, nicht wegwischen. Vielleicht ging es von Anfang an nicht um Tania?
Robert sah auf die Uhr. Es war kurz nach zehn Uhr abends. Er löste sich aus Nadines Umarmung. »Warte einen Augenblick.«
Zielstrebig ging er in seine Praxis. Die Telefonnummer, die er wählte, kannte er auswendig. Das Freizeichen klang fremd und fern. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich eine Stimme meldete.
»Hello?«
»Ich möchte mit William K. King reden, bitte«, bat Robert auf Englisch.
»Wer spricht da?«
»Dr. Robert Babicz.«
»Oh, Dr. Babicz, ich habe schon viel von Ihnen gehört. Mister King hat mir …«
»Kann ich mit ihm sprechen?«
»Nein, sorry. Mister King hat gerade einen wichtigen Termin. Ich befürchte, er ist auch nicht auf seinem Handy zu erreichen.«
»Können Sie ihm eine Nachricht hinterlassen, bitte? Er soll mich zurückrufen. Es ist dringend.«
»Natürlich. Hat er Ihre Telefonnummer?«
Robert nannte zur Sicherheit seine Praxisnummer. »Und für den Fall, dass ich nicht zu Hause bin, soll er es auf dem Berliner Polizeipräsidium versuchen.« Er gab auch diese Nummer durch.
»Okay, werde ich ihm ausrichten.«
»Bitte, noch eine Frage: Was ist mit Andrew Jacobs?«
»Der Knochenmann? Der sitzt in Gewahrsam!« Der Agent lachte. »Hey, das waren doch Sie, der ihn entlarvt hat, oder nicht?«
Robert ging nicht darauf ein, dankte ihm stattdessen für das Gespräch und legte auf. Er wartete auf ein Gefühl der Erleichterung – Der Knochenmann? Der sitzt in Gewahrsam! – , das sich jedoch nicht einstellen mochte.
Die einzelnen Puzzleteile – Lahnstein, Bodkema, Hagen, Tania – wollten sich einfach nicht zu einem Ganzen fügen. Es würde nichts bringen, sich weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Er musste auf das Gespräch mit Tania warten. Und darauf, dass … Aber daran wollte er nicht denken. Noch nicht.
Nadine saß unverändert auf dem Sofa. Sie streckte die Hand nach ihm aus, zog ihn neben sich auf die Couch. Sie hatte inzwischen die Flasche Wein geöffnet, reichte ihm ein Glas. Der Wein schmeckte mild und süß, ein schwacher Trost.
Robert trank einen weiteren Schluck und ließ es geschehen, dass Nadine den Arm um ihn legte. Er sank zurück, lehnte sich dankbar an sie, schloss die Augen. So blieb er sitzen, spürte die Nähe, die Wärme, den Alkohol.
103
»Ich warte auf Antwort!«
Gerrys Stimme drang in Seras Bewusstsein. Sie lag auf dem Bett in seiner kleinen Wohnung über dem Ernie & Bert. Eigentlich hatte sie sich ausruhen wollen – nur ein paar Minuten – , war dann aber eingenickt.
Gerry saß auf dem Stuhl neben dem Bett. In seiner Kneipe unten sang Sting: There really isn ’ t need for bloodshed. You just do it with a little more finesse. Der Song war über ein Vierteljahrhundert alt, aber aktueller denn je.
Sera wickelte die Decke dichter um ihren Oberkörper, nicht weil sie fror, sondern weil es ihr Zeit gab, die richtigen Worte zu finden. Doch egal, welche Antwort sie sich auch zurechtlegte, sie ahnte, wie sie für Gerry klingen würde. »Wir haben einen Hinweis darauf erhalten, dass wir bei dir … in deiner Kneipe … eine Leiche finden.«
»Eine Leiche? Bei mir?«
»Ja.«
»Wenn ich heute Mittag nicht selbst Zeuge deiner Aktion geworden wäre, würde ich jetzt behaupten, dass du mich veralberst.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Meinst du nicht, ein Anruf hätte genügt? Anstatt mit einer Hundertschaft meine Kneipe zu stürmen?«
Sera rieb sich die müden Augen. »Es waren nur mein Kollege und ich.«
»Und zwei Streifenwagen vor der Tür. Was glaubst du, wie das bei meinen Gästen angekommen ist?«
»Tut mir leid.« Sie zog die Decke noch enger und höher, bis nur noch ihr Kopf herausschaute. Jetzt war ihr tatsächlich kalt, eine Gänsehaut überzog ihren Körper. »Ich habe mir einfach nur Sorgen gemacht.«
»Um mich?«
Ist das so abwegig? Sera trotzte seinem verblüfften Blick. Dann stand sie auf, tapste barfuß hinüber in die Küche und füllte den Wasserkocher.
»Also mal ehrlich«, murrte Gerry vom Schlafzimmer aus. »Eine Leiche in einer, also, in meiner Kneipe – wer sollte denn auf so eine absurde Idee kommen?«
Because murder is like anything you take to, schallte es von unten herauf. It’s a habit-forming need for more and more . Die Erschöpfung machte es Sera schwer, sich zu konzentrieren. Sie tat einen Beutel Pfefferminztee in eine Tasse und füllte sie mit kochendem
Weitere Kostenlose Bücher