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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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gedrückt und wenig später hin und her gerüttelt, weil ihr Kollege im Zickzackkurs vorbei am dahinzuckelnden Verkehr auf dem Kottbusser Damm raste.
    »Du denkst daran, dass ich gerade gegessen habe?«, fragte Sera.
    »Schön, dass wenigstens einer von uns Zeit fürs Frühstück hatte.«
    »Von dem du gleich auch was hast, wenn ich in den Fußraum kotze.«
    Ungeachtet dessen bremste Gesing abermals scharf, weil ein Transporter in zweiter Reihe parkte und sich die Autos auf der freien Spur daneben wie in einem Nadelöhr verkeilt hatten. Kurz entschlossen lenkte er den Passat auf den begrünten Mittelstreifen, von dem er die Hälfte der Pflanzen ruinierte. Dann rumste der Wagen zurück auf den Asphalt, und Seras Kopf knallte gegen die Scheibe.
    »Also«, sagte Gesing, »deine Mutter …«
    »… wird dich garantiert nie wieder eines Blickes würdigen, wenn ich heute nicht heil nach Hause komme.«
    »Kann ich denn was dafür, dass die Leute so beschissen fahren?«
    »Apropos: beschissen fahren. Da kenne ich auch noch jemanden.«
    »Weißt du was?« Gesing schoss bei Rot über die Kreuzung am Hermannplatz. »Beim nächsten Mal kannst du fahren.«
    »Versprochen?«
    »Du mich auch!«
    Der Kriminalobermeister preschte über die Hasenheide, die sich vor der Kirche am Südstern teilte. Die Straße umschloss das Gotteshaus in einer Ellipse. Glockenläuten mischte sich in überraschender Harmonie mit dem Martinshorn.
    »Willst du jetzt wissen, was mit deiner Mutter war oder nicht?«
    Sera hielt sich gleichzeitig die schmerzende Brust und die pochende Schläfe. »Mir wäre es lieber, du verrätst mir endlich, warum der Chef mir meinen freien Tag ausgerechnet mit dir verdirbt.«
    »Vor einer Dreiviertelstunde ist ein Notruf eingegangen. Eine junge Frau wurde auf offener Straße niedergestochen.«
    »Du meinst: eine junge türkische Frau?«
    Schweigend bog Gesing in die Blücherstraße.
    »Verstehe.« Und das tat Sera tatsächlich. Nicht zum ersten Mal war ihr Chef der Auffassung, ihr – wie pflegte er sich auszudrücken?  – »kultureller Hintergrund« sei bei der Aufklärung mancher Mordfälle hilfreicher als aller kriminalistischer Spürsinn der Kollegen. Wenn der wüsste!
    Am Ende der Blücherstraße hielt Gesing hinter einem Sammelsurium chaotisch geparkter Einsatzfahrzeuge. Mit rotweißem Flatterband hatten Streifenbeamte bereits den Bürgersteig vor den unsanierten Altbauten abgeriegelt. Eine wogende Masse von Frauen jeden Alters drängelte sich an die Absperrung, viele davon mit Kopftüchern, unter denen ein schluchzendes Palaver erscholl.
    »Adile!« Eine gesetzte Dame in Rock, Strickjacke und Kopftuch hämmerte mit Fäusten auf Streifenbeamte ein, die ihr den Zutritt zum Tatort verweigerten. »Adile! Adile!« Die Sohlen ihrer dünnen Latschen fanden auf dem nassen Bordstein keinen Halt mehr. Die Frau stürzte zu Boden, weinte aber weiter. »Adile! Adile!«
    Die anwesenden Journalisten richteten ungeniert ihre Kameraobjektive auf die wimmernde Frau.
    Gesing hastete ihr zu Hilfe, doch ehe er sie erreichte, waren schon zwei Türken bei ihr. Die beiden Männer waren Mitte fünfzig, trugen Anzüge, der eine hatte einen dichten grauen Vollbart, leise redete er auf die Frau ein. Der andere, auf dessen Nase eine rahmenlose Brille wippte, versuchte Gesing abzuwehren.
    Sera durchforstete ihr Gedächtnis. Sie glaubte, den Mann mit der Brille zu kennen, wusste aber nicht woher. Außerdem lenkte eine heisere Stimme sie ab.
    »Frau Muth!«, krächzte es aus dem Reporterpulk. »Frau Muth!«
    »Herr Sackowitz.« Auch das noch!
    »Jemand ist ermordet worden, richtig? Ein Ehrenmord?«
    »Können Sie sich erinnern, was ich Ihnen gesagt habe, als wir uns das letzte Mal getroffen haben?«
    »Hat das was mit diesem Mord zu tun?«
    »In gewisser Weise schon. Ich sagte nämlich«, Sera bückte sich unter dem Flatterband hindurch, »dass Sie sich für Fragen bitte an die Presseabteilung wenden.«
    Auf dem Gehsteig, nicht weit von dem Asia-Imbiss Golden Buddha entfernt, war ein Sichtschutz errichtet worden, der das Pavillonzelt der Spurensicherung umschloss. Unter dem Plastikdach, von dem der Regen in endlosen Wasserfällen plätscherte, wirkten die Kriminaltechniker in ihren weißen Einwegoveralls wie Schneemänner, die vor einer Überschwemmung bewahrt werden mussten. Ihr Interesse galt der großen Blutlache auf dem Boden und einem blutverschmierten Messer, das einen Meter weiter neben einer Regenpfütze lag.
    Im Hauseingang neben dem

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