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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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stützten sie und führten sie zurück zur Straße.
    »Was hat sie gerade gesagt?«, fragte Gesing.
    »Hab’s nicht verstanden«, sagte Sera. Aber das war gelogen. Senin gibi bayanlar suçludur. Frauen wie du sind schuld.

10
    Diesmal verließ Robert den U-Bahnhof nach Süden. Durch leichten Nieselregen lief er den Murellenweg bis zur Querstraße entlang, die nach dreißig Metern in den Brombeerweg mündete. Stattliche Einfamilienhäuser mit schmalen, gepflegten Vorgärten säumten einseitig die kleine Straße. Hinter den Grundstücken erstreckten sich zumeist große Gärten, einige sogar mit Pool. Für die Bewohner, von denen der überwiegende Teil täglich zur Arbeit in die Stadt pendelte, war das Viertel ein Refugium der Stille und Erholung. Nicht weit von Berlin, aber trotzdem ein eigener, friedlicherer Kosmos.
    Doch die Gegend besaß einen Makel: jenes Grundstück, vor dem Robert jetzt hielt. Früher hatte neben der niedrigen Holztür, durch die man in den Vorgarten gelangte, ein Schild gestanden: Zu verkaufen . Der Anschlag war entfernt oder –wie das ganze Gelände – von wildem Gestrüpp überwuchert worden. Auch von dem Haus selbst ragte nur noch der Dachfirst aus der grünen Hölle wie ein schiffbrüchiger Kahn, der kopfüber im Ozean versank.
    »Interessieren Sie sich dafür?« Schritte patschten durch Pfützen auf dem Gehweg. Den Regenschirm in der einen, eine Leine, an der ein Dobermann zerrte, in der anderen Hand schlurfte ein älterer Mann heran.
    Robert erkannte Reginald von Deese sofort, obwohl die Jahre Spuren hinterlassen hatten. Sein Gesicht war faltiger, die Haare grauer und lichter geworden, und trotzdem bemühte sich von Deese um eine distinguierte Haltung, ganz wie es sich für einen Offizier a. D. der NVA geziemte. Er hatte schon damals einige Häuser weiter gewohnt, zusammen mit seiner Ehefrau, drei Papageien und einem Boxer. Letzterem war augenscheinlich das muskulöse Hundeungetüm nachgefolgt. Ob die Vögel und die Ehefrau noch lebten?
    »Vielleicht«, log Robert.
    » Dafür haben sich schon einige interessiert.« Von Deese hob die Hand wie zum Appell. Er zeigte auf das Grundstück. Die Schnauze des Dobermanns näherte sich Roberts Hosenbein.
    Robert trat unauffällig einen Schritt beiseite. »Aber eingezogen ist bis jetzt niemand?«
    »Nein, daraus ist nie etwas geworden.«
    »Wann gab es denn die letzten Interessenten?«
    »Vor vier, fünf Jahren.« Der Dobermann trottete unter einen der Sträucher und krümmte seinen Rücken. Ein mächtiger Haufen plumpste ins Unterholz, und ein übler Gestank wehte zu Robert hinüber. »Seitdem tut sich hier nichts mehr.«
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß es nicht. Aber um ehrlich zu sein: Hier tut sich nichts, seit …« Von Deese hielt inne und neigte fragend den Kopf. »Kann es sein, dass ich Sie kenne?«
    Der Dobermann hockte sich wieder neben sein Herrchen und folgte dessen Beispiel. Mit großen Augen glotzte er Robert an.
    Robert zögerte. »Nicht dass ich wüsste.«
    »Sie kommen nicht zufällig aus der Gegend?«
    »Nein.«
    »Sie waren auch nicht in der Armee?«
    »Ich war in Amerika.«
    »Oh!« Von Deese war beeindruckt. »Da war ich noch nie.«
    »Was ist denn mit den alten Besitzern passiert?«, fragte Robert.
    »Sie sind tot. Seit mehr als dreißig Jahren. Aber manchmal, da habe ich das Gefühl, als wäre … Ach!« Der alte Offizier fuchtelte mit der Hand, und der Vierbeiner sprang alarmiert auf. »Meine Frau sagt immer, ich rede zu viel.«
    Robert schwieg.
    »Ich finde nur, es ist schade um das schöne Grundstück.« Von Deese ließ seinen Blick über die herrschaftlichen Häuser in der Straße schweifen, eines gepflegter als das andere. »Interessiert es Sie wirklich?«
    »Ich glaube nicht.«
    Von Deeses Gesicht bekam einen traurigen Ausdruck. »Schade. Ich hätte Ihnen die Adresse des Maklers besorgen können.«
    Er linste unter seinem Schirm zum Himmel empor, und seine Miene hellte sich auf. Der Regen hatte aufgehört. Der Offizier a. D. klappte seinen Schirm akkurat zusammen und hängte ihn sich am Griff über den Arm.
    »Wohlan«, sagte er und gab seinem Hund einen Befehl zum Aufbruch, dem dieser nur widerstrebend Folge leistete. »Einen schönen Abend noch.«
    Seite an Seite marschierten Hund und Herrchen zu ihrem eigenen Grundstück zurück.
    Nachdem der alte Mann außer Sichtweite war, suchte Robert im Unterholz, möglichst weit entfernt von der dampfenden Hinterlassenschaft, nach einem schweren Stock. Mit ihm schlug er sich

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