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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Restaurant stand ein stämmiger Mann, Mitte dreißig, dichtes und gepflegtes braunes Haar, große Augen, markantes Kinn, breite, gewölbte Brust. Wäre George Clooney ein Boxer, er sähe aus wie dieser Typ. Neben ihm wirkten die Mitglieder der asiatischen Großfamilie, auf die er mit entnervt wirkenden Gesten einredete, wie Zwerge.
    »Und?«, fragte Sera ihren Kollegen David Blundermann, Kriminalobermeister in der Mordkommission. »Wo ist die Leiche?«

8
    Robert nahm die erstbeste U-Bahn zurück nach Mitte. Er verschloss die Augen vor dem tristen Einheitsgrau, zu dem sich der Regen und die Häuser beiderseits des Bahndamms vermengten. Das gleichmäßige Ruckeln des Waggons machte ihn müde. Er dachte zurück an den Friedhof, an das Grab der Eltern, an die Begegnung mit Max. Du bist wieder da?
    Die Stimme seines Bruders hallte so laut in seinem Kopf wider, dass Robert erschrocken die Augen öffnete. Sein Blick irrte durch das Abteil, darauf gefasst, Max mit grimmiger Miene auf der Bank gegenüber zu entdecken. Stattdessen hockten dort nur klitschnasse Pendler mit verdrießlichen Gesichtern. Ein Russe mit Tschapka begann schiefe Töne aus seinem Akkordeon hervorzuquetschen.
    Robert wünschte sich, die erste Begegnung mit seinem Bruder nach so vielen Jahren wäre erfreulicher verlaufen, aber er konnte Max seinen Groll nicht verübeln. Vier Jahre sind eine lange Zeit.
    Der Zug hatte inzwischen das Tageslicht der Vororte verlassen und rollte durch den Berliner Untergrund. Die grellen Lampen im Waggon ließen die Gesichter der Reisenden gespenstisch blass erscheinen. Glücklicherweise war der Akkordeonspieler in das nächste Abteil umgezogen, wo er nun neue unfreiwillige Zuhörer marterte. Die nächste Station war die Deutsche Oper.
    Du hast es geschafft, oder?
    Einem spontanen Impuls folgend stand Robert auf. Während er auf die Einfahrt in den nächsten Bahnhof wartete, dachte er daran, wie Max als kleiner Junge Geige gelernt hatte. Jeden Abend stiefelte er voller Freude ins Wohnzimmer, wo der Notenständer stand, direkt neben der schmalen Leuchte, deren Lampenschirm mit winzigen, fliegenden Achtelnoten bestickt war. Dort wartete er darauf, dass ihre Mutter eine Schallplatte auflegte. Während aus den Lautsprechern die ersten Akkorde erklangen, stimmte Max seine Geige. Anfangs hörte sie sich zart und empfindsam an, weich wie die Streicher in La Chasse , doch je schneller Max mit dem Bogen über die Saiten strich, desto heller wurde der Ton. Und lauter. Bis er schließlich grell in Roberts Ohren geschrillt hatte.
    Aber nein, es waren die Bremsen, die quietschten, während die U-Bahn im Bahnhof Zoo zum Stehen kam. Robert rieb sich verwundert die Augen. Er hatte drei Stationen verpasst. Herrje, jetzt schläfst du schon im Stehen.
    An einem Bahnsteigkiosk erstand er einen überteuerten, lauwarmen Kaffee, dessen Wirkung ausblieb. In Amerika hatte er so viel Kaffee getrunken, dass sein Körper inzwischen immun gegen Koffein zu sein schien. Enttäuscht kippte er den halb vollen Pappbecher in einen Mülleimer. Du brauchst keinen Kaffee, du brauchst Schlaf. Doch wenn er sich jetzt hinlegte, würde er sich nur herumwälzen. Es war paradox, aber nicht zu ändern.
    Er stieg in die nächste U-Bahn. Noch einmal Richtung Ruhleben.

9
    David Blundermann, Seras Kollege in der Mordkommission, lächelte wehmütig. »Die junge Frau hatte Glück im Unglück. Sie hat überlebt und befindet sich auf dem Weg ins Vivantes-Klinikum.«
    Sera wischte sich einen Regentropfen von der Nase. »Und ihr Name ist Adile?«
    »Adile Gökcan, vierundzwanzig Jahre, verheiratet mit Aiman Gökcan, beide gemeldet im Schirmvogelweg in Buckow. Allerdings wohnt Frau Gökcan seit drei Wochen bei ihrer Freundin Eva Fischer hier im Haus. Sie wartet schon in ihrer Wohnung auf dich.«
    »War sie Zeugin der Tat?«
    »Nein, sie nicht. Aber …« Mit bäriger Behäbigkeit zeigte Blundermann auf einen der beiden Asiaten.
    Der Mann war drei Köpfe kleiner als der Polizist, hatte kurzes, schütteres Haar, schiefe Zähne und hielt eine volle Lidl -Tüte wie ein Kleinkind im Arm.
    »Das ist Sui Chun Zaoming«, sagte Blundermann. »Er arbeitet als Koch in dem Thai-Restaurant um die Ecke. Er behauptet, alles mitbekommen zu haben. Leider spricht er kaum ein Wort Deutsch.«
    Sui Chun Zaoming ließ nicht erkennen, ob er Blundermann verstanden hatte. Noch immer umklammerte er seine Einkäufe, als müsste er fürchten, jeden Moment von den Beamten beklaut zu werden.
    »Und das ist

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