Kalte Haut
jetzt mit dem Kidnapping zu tun hat«, entgegnete Bodkema.
»Habe ich mir schon gedacht«, grummelte Veckenstedt. »Aber ich will es Ihnen gerne erklären: War es wirklich nötig, den Film zu veröffentlichen?«
»Was glauben Sie denn, warum ihn uns die Entführer geschickt haben? Damit wir ihn veröffentlichen natürlich.« Bodkema kreuzte die Arme vor seiner Brust. So einfach ist das.
»Ah ja, und weil der Entführer das möchte, tun Sie es auch? Bemerkenswerte Logik! Aber wenn ich mich nicht täusche, sind Sie eine Zeitung und kein Fernsehsender.«
Weshalb Bodkema auch entschieden hatte, den Film auf der Website des Kurier zu zeigen, aber das erwähnte der Chefredakteur wohlweislich nicht. Auch Sackowitz und Tania hielten geflissentlich den Mund.
Verstimmt über das Schweigen der Reporter grunzte der Polizist in seinen Schnauzbart. Mit seinen grauen Haaren und dem von Falten gezeichneten Gesicht wirkte der Kriminalhauptkommissar auf den ersten Blick wie ein Mann, der sich mit aller Gemütlichkeit auf die Pension vorbereitete. Aber es steckte noch eine Menge Leben – und Zorn – in ihm.
»Haben Sie dabei vielleicht mal an die Eltern gedacht?«, fragte er. »Wie es ihnen geht, wenn sie auf diese Weise von der Entführung ihres Sohnes erfahren?«
»Soweit ich weiß, wird der Innensenator schon in wenigen Minuten vor der Presse eine Erklärung an die Entführer abgeben.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage!«
Bodkema hob bedauernd die Hände. »Wir konnten ja nicht ahnen, dass der Innensenator …«
»Ach, bitte, ersparen Sie mir das Theater!« Veckenstedt wandte sich angewidert ab. »Wenn Sie sich an menschliche Mindeststandards gehalten und sich wenigstens mit dem Senator – oder der Polizei – in Verbindung gesetzt hätten, bevor Sie den Film veröffentlichten, hätten Sie erfahren, dass bis zum Auftauchen des Videos noch niemand von der Entführung wusste.«
»Haben sich die Entführer denn in der Zwischenzeit mit der Familie Lahnstein in Verbindung gesetzt?«, wollte Sackowitz wissen.
»Das geht Sie einen Scheißdreck an!« Der Polizist stapfte zu den beiden Beamten, die sich seit ihrer Ankunft mit einem Laptop an Tanias Rechner zu schaffen machten. »Und?«
»Soweit wir feststellen können, befand sich das Video auf einem russischen Filesharing-Server.«
»Was heißt befand?«, argwöhnte Bodkema, noch ehe Veckenstedt dazu kam, etwas zu erwidern. Der Polizist funkelte den Chefredakteur böse an.
»Das Video wurde offenbar keine fünf Minuten später wieder gelöscht.«
»Nur fünf Minuten«, wiederholte Veckenstedt gallig. »Aber die haben natürlich ausgereicht, um die Mail zu empfangen, auf den Link zu klicken, das Video anzuschauen, es zu kopieren und auf die eigene Website zu stellen.« Sein zorniger Blick streifte die Journalisten. »Und selbstverständlich auch noch eine Pressemitteilung über dieses sensationelle Foltervideo an alle Radio- und Fernsehstationen rauszugeben. Exklusiv beim Kurier. «
»Das ist eine böswillige Unterstellung«, empörte sich Bodkema.
Veckenstedt winkte ab, bevor er zu Tania sagte: »Und wohin wollen Sie?«
Die Journalistin hatte ihre Jacke gerafft, die Handtasche geschultert und sich den Aufzügen zugewandt. »Ich habe einen Termin.«
»Hat der mit der Entführung zu tun?«
»Nein.«
»Sondern?«
Bodkema sprang ihr bei. »Ich glaube nicht, dass das …«
»O doch!«, blaffte Veckenstedt.
Tania wechselte einen Blick mit dem Chefredakteur, der nickte. »Es geht um die S-Bahn-Probleme.«
Veckenstedts Miene hellte sich unerwartet auf. »Ja, das hingegen ist ein Thema, bei dem sich Ihre Zunft zur Abwechslung mal nützlich machen kann.«
»Ersparen Sie uns Ihren Sarkasmus«, beschwerte sich Bodkema.
Der Polizist überging die Bemerkung, seine Augen waren noch immer unverwandt auf Tania gerichtet. »Ich hoffe nur für Sie, dass es keine Lüge ist, die Sie mir da auftischen. Andernfalls muss ich Sie wegen Behinderung der polizeilichen Ermittlungsarbeit belangen.«
»Das wird nicht nötig sein«, entgegnete Tania. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich nützlich machen.«
31
Sera verharrte auf ihrem Platz im Konferenzraum, während die Kollegen vor der Bullenhitze flohen. Und vor den Fernsehnachrichten. Auf dem TV-Schirm flimmerte nach wie vor die Sondersendung zur Entführung. Abermals wurde das Video gezeigt, und schon wieder leierte der Moderator Informationen herunter, die eigentlich nur auf Spekulationen beruhten.
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