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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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dem zerkratzten Glastisch standen zwei geöffnete Dosen Hansa neben einem überquellenden Aschenbecher. Im Fernseher stritten Zwei bei Kallwass lautstark um den Unterhalt für ihr Baby.
    Bist du dir sicher? In Robert wuchsen Zweifel. Willst du wirklich wieder in diese Wohnung?
    Ohne den Lautstärkepegel zu verringern, suchte Kornfeld in den Schubladen der Schrankwand nach den Schlüsseln. Er grunzte verärgert, weil er nicht fündig wurde, und schlug dann eine Schranktür zu. Polternd kippte das dreibändige Bertelsmann-Volkslexikon auf dem Schrank um. Dem gelbstichigen Papier nach zu urteilen, stammte das Nachschlagewerk aus Vorwendezeiten. Vermutlich ein Erbstück der Mutter, eines der wenigen, das nicht entsorgt worden war. Als Kornfeld die Bücher wieder aufrichtete, klirrten die Kristallfiguren und Schneekugeln in der Vitrine daneben. Kitschige Schwäne glitzerten im TV-Licht.
    Über dem Fernseher, einem alten Röhrengerät, hingen Fotos in schlichten Holzrahmen. Eine der Aufnahmen zeigte Kornfeld und seine wohlgenährte, blondierte, toupierte und pedikürte Gattin. Püppi , Arm in Arm vor dem Brandenburger Tor. Auf einem anderen Bild war Kornfelds Mutter zu erkennen. Die Schwarz-Weiß-Fotografie war in dem Wohnzimmer das Einzige, was noch an sie erinnerte.
    »Woran ist sie gestorben?« Robert musste schreien, um sich über das Plärren des Fernsehers hinweg verständlich zu machen.
    »Am Alta!«
    »Ach so.«
    »Is halt so.« Endlich griff Kornfeld nach der Fernbedienung und drehte die Lautstärke runter. Danach straffte er den Rücken, als habe er eine wichtige Wahrheit zu verkünden. Sein Bauch wölbte sich über den Bund der Jogginghose. »Irjendwann jehen die Eltern von uns. Det is normal im Leben, wa?«
    »Ja.« Nicht immer.
    »Obwohl …« Kornfeld hustete, bevor er sich zu ihm umwandte. »Sie als Psychata …«
    »Psychologe!«
    Kornfeld winkte ab. »Sie haben sichalich mit vielen Leuten zu tun, deren Leben …«, sein nikotingelber Finger kreiste neben seiner Schläfe, »na, Sie wissen schon, nich so normal is, oda?«
    Das Stehen strengte Robert an. Unaufgefordert ließ er sich auf das Sofa nieder, Typ Lövås oder Håvet . So genau war der Unterschied nicht auszumachen, wohl aber, dass es Kornfeld gewesen war, der die Möbel ausgewählt hatte. Die grässliche Couchgarnitur, die schmucklose Schrankwand, der Teppich unter dem Glastisch, alles zeugte vom – vorsichtig ausgedrückt –schlichten Geschmack eines schlichten Mannes. Und eines enttäuschten, verbitterten, zornigen Sohnes obendrein. Warum sonst hätte er alle Spuren der verblichenen Kornfeld senior aus der Wohnung tilgen sollen?
    Robert hatte, nachdem er seine Mutter zu Grabe hatte tragen müssen, solange wie möglich ihre Sachen aufbewahrt. Aber sie ist auch nicht am Alter gestorben. »Wer entscheidet schon, was normal ist und was nicht.«
    Kornfeld spitzte die Lippen. Für einen Augenblick schien es, als würde er über Roberts Worte nachdenken. Dann schüttelte er den irritierenden Gedanken ab wie eine lästige Fliege und fragte: »Wollnse wat trinken? ’n kühlet Bier?«
    Wissen Sie, wie spät wir es haben? Robert verneinte.
    »Wat anderes? ’nen Kurzen?«
    »Auch nicht, danke.«
    »Wasser? Oder Cola?«
    Nur die Schlüssel, bitte. Robert schüttelte den Kopf.
    Kornfeld setzte ein breites Grinsen auf. »Na, solche Gäste wie Sie dürfen gerne öfters kommen.«
    Er begann wieder mit der Suche, während Robert sich dem Fernseher zuwandte. Der Psychologentalk war unterbrochen, eine Sondersendung kurzfristig ins Programm geschoben worden. Jemand war entführt worden, ein Film mit dem Entführungsopfer im Internet aufgetaucht.
    Kornfeld folgte seinem Blick. »Det is nicht normal, wa?«
    Jefallen Ihnen die Nachrichten nich? »Nein.«
    Robert löste seine Augen von dem TV-Gerät und hielt in dem Zimmer nach etwas Ausschau, das ihm besser gefiel, zumindest für den Moment. Wirst du wieder arbeiten? Nicht so bald. Er dachte an Max. Der Gedanke, dass sein Bruder es an die Deutsche Oper geschafft hatte, machte ihn stolz. Robert beschloss, noch heute eine Karte für seine Auftritte zu kaufen. Eine Dauerkarte! Keines der Konzerte seines Bruders wollte er versäumen. Inzwischen bewunderte er Max’ Talent.
    »Nee«, grunzte Kornfeld etwas später, »ick kann die Schlüssel wirklich nich finden.«
    »Ist schon okay.« Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen.
    Kornfeld setzte sich ihm gegenüber und langte nach dem Hansa. »Wollnse

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