Kalte Haut
was?«
»Du wolltest etwas sagen, bevor der Anruf dich unterbrochen hat: Und wenn du …«
»Ja, stimmt, ich wollte sagen: Und wenn du wie ich in Motels gleich neben einem Highway übernachtet hast, auf dem ein Truck nach dem anderen vorbeidonnert, dann wirst du niemals mehr Probleme mit dem öffentlichen Nahverkehr in Berlin haben.«
Hagen lachte. »Dafür haben wir mit dem öffentlichen Nahverkehr andere Probleme!«
»Habe ich mitbekommen.«
»Ein Chaos. Seit Wochen schon. Kann mir nicht vorstellen, dass es so etwas in den Staaten gibt.«
»Dort gibt es aber auch keine S-Bahn.«
»Gar keine?«
»Doch, natürlich, aber nur in den Großstädten.«
Hagen verdrehte die Augen. »Und was, bitte schön, ist Berlin?«
Lachend stand Robert auf und durchquerte den Raum zu einem CD-Regal. Die meisten Alben hatten seiner Mutter gehört. Max hatte nach ihrem Tod nur wenige davon behalten wollen. Robert zog wahllos eine aus der Sammlung und sah nicht auf das Cover, als er die CD in den Player legte. Kurz darauf zischelten die ersten verwobenen Sequenzen von Logos aus den Lautsprechern. Eins der frühesten elektronischen Live-Alben von Tangerine Dream.
Für eine Weile war es wie damals. Die Musik. Das entspannte Gespräch. Fehlte nur das Glas Wein und der kleine Snack.
Unvermittelt wurde Hagen ernst. »Warum bist du damals abgehauen?«
Das Gefühl war verflogen.
41
Sera benötigte zu Fuß keine zehn Minuten von dem Lagerhaus bis zu dem Altbau in der Simplonstraße, wo Gesing bereits mit dem Wagen wartete. Sie hatte sich die Beine vertreten wollen. Auch hier lauerten Journalisten. Nicht ganz so viele wie in der Revaler Straße, aber genug, dass Streifenbeamte zum Schutz der Angehörigen notwendig waren.
Das junge Mädchen, das Sera und Gesing auf ihr Klingeln hin ins Haus ließ, sah tatsächlich aus wie ein Model: lange Beine, volle Brüste, gertenschlanker Körper, wie trotz des Schlabberpullis unschwer zu erkennen war, makellose Haut und braune Haare bis zu den Schultern.
»Jasmin Peters?«
»Nein, ihre Freundin, Gerlinde Heeb.«
»Wir möchten Frau Peters einige Fragen stellen.«
»Ich weiß nicht, ob sie im Moment in der Lage ist, die zu beantworten.«
»Es ist wichtig.«
Gerlinde warf einen kurzen Blick über die Schulter. Aus der Wohnung erklang ein leises Wimmern. »Na gut, kommen Sie rein.«
Das Wohnzimmer wurde durch hohe Flügeltüren zweigeteilt. Im vorderen Bereich gaben Fenster den Blick auf die Straße frei. Die Vorhänge waren offen, am Horizont sammelte sich das letzte Tageslicht. Ein Mischpult, zwei Plattenspieler und überdimensionierte Lautsprecher standen vor der Fensterbank. Unzählige Schallplatten waren in beschriftete Kisten einsortiert.
Zum Hinterhof hin lag der eigentliche Wohnbereich. Statt Bildern waren Plattencover an die Wand genagelt. Laurent Garnier, Roland Casper, Len Faki. Mit keinem der abgebildeten Musiker konnte Sera etwas anfangen. Ein großes Ecksofa nahm den Großteil des Zimmers ein, außerdem gab es zwei riesige Sitzsäcke aus Leder und einen langen, schmalen Holztisch. Aus einem Aschenbecher kräuselte Qualm. Es roch nach Haschisch.
Die junge Frau auf der Couch war genauso hübsch wie Gerlinde, hatte aber lange blonde Haare und verquollene Augen. Sie schnäuzte sich in ein Taschentuch.
»Frau Peters, es geht um gestern Abend.« Sera versank knisternd in einem der Sitzsäcke.
Jasmin schaute mit trübem Blick auf. »Gestern Abend?«
»Herr Lahnstein hat uns erzählt, Frank sei mit Ihnen ausgegangen. Ist das richtig?«
Unvermittelt gab Jasmin einen Ton von sich, der irgendwo zwischen Schluchzen und Schnauben lag. Sie sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Die Badezimmertür fiel krachend ins Schloss, dämpfte ihr Heulen aber kaum.
»Es ist wegen … seinem Vater.« Gerlinde strich sich eine braune Strähne von der Wange. »Der Senator mochte Jasmin vom ersten Tag an nicht.«
»Gab es dafür einen Grund?«
Gerlindes Blick folgte den feinen Rauchschwaden, die noch immer aus dem Aschenbecher aufstiegen. »Weil sie …«
»Weil ich Stripperin war.« Jasmin war wieder ins Zimmer gekommen. Zorn hatte sich rot auf ihren Wangen breitgemacht.
Gerlinde nahm ihre Hand und zog ihre Freundin neben sich auf die Couch. »Komm her, Schatz.« Zu den Beamten sagte sie: »Aber das war sie nur ein paar Monate!«
»Auch ein paar Tage wären zu lang für ihn gewesen. Also für Franks Vater.« Jasmins Lippen zitterten. Die Wut lenkte sie von ihrer Trauer ab.
Ihre Freundin
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