Kalte Haut
hinzu. »Unauffällig, diskret im Hintergrund.«
Gesing räusperte sich. »Was ja offenbar in die Hose ging.«
»Ich weiß. Franks Lebenswandel war, na ja, was soll ich dazu sagen?« Benninger senkte den Kopf.
»Stürmisch, sagen Sie es ruhig! Es ist … Ich meine, es war nicht einfach mit ihm.« Lahnstein wollte noch etwas hinzufügen, doch das Rattern der S-Bahn auf dem Bahndamm brachte ihn zum Schweigen.
Als der Lärm in der Ferne verklungen war, sagte Veckenstedt: »Folgendes konnten wir in der Kürze der Zeit in Erfahrung bringen: Frank Lahnstein ist gestern Abend aus gewesen. Er arbeitete als DJ in Diskotheken, in denen es schwer ist, die Übersicht zu behalten. Sie sind dunkel, vernebelt. Manchmal haben die Personenschützer Frank aus den Augen verloren. So anscheinend auch letzte Nacht.«
»Wann haben sich die Entführer mit dem Herrn Senator in Verbindung gesetzt?«, fragte Sera.
»Gar nicht«, antwortete Lahnstein.
»Es gab keine Forderung?«
»Nein.«
»Und wie haben Sie von der Entführung erfahren?«
»Als ich wie Millionen anderer …« Er hielt inne. Der Leichentransporter der Rechtsmedizin rollte über den knirschenden Kies auf das Grundstück. Lahnstein folgte ihm mit seinem Blick und senkte die Stimme. »Als wir uns dieses grässliche Video im Fernsehen anschauen mussten.«
»Vorher hat ihn niemand vermisst?«
Zwei Männer in schwarzen Anzügen zogen einen Kunststoffsarg aus dem Kofferraum. Lahnstein flüsterte: »Nein.«
»Nicht einmal seine Freundin?«
»Nein. Oder doch. Ja. Aber …« Der Sarg wurde in das Gebäude getragen. Die Stimme des Senators war kaum noch zu hören, dennoch sprach aus ihr seine ganze Verzweiflung. »Ich weiß es nicht.«
Sera drehte sich zu Veckenstedt um.
Der Kollege zuckte hilflos mit den Schultern. »Wir sind noch nicht dazu gekommen, die Freundin zu befragen. Wir wollten gerade zu ihr, als wir von dem Leichenfund erfahren haben.«
40
»Ja, mir geht es gut«, sagte Robert, und das war nicht einmal gelogen. Die Zeit heilt alle Wunden. »Ich bin nur noch etwas müde vom Flug … Aber reden wir nicht von mir. Was ist mit dir? Wie geht es dir?«
Hagen lehnte sich auf dem Sofa zurück und vergrub die Hände in den Hosentaschen. »Ein ständiges Auf und Ab, du weißt ja, wie das bei mir ist.«
Er war Schriftsteller, seit ihm vor vielen Jahren mit dem Krimi Das Opfer ein beachtlicher Bestseller geglückt war. Seither schrieb er alle paar Jahre einen neuen Roman: Der Feind, Die Gefahr und Der Saboteur . Die Bücher hatten sich mittelprächtig verkauft, aber nicht an den Erfolg seines Debüts anknüpfen können, und mit jedem Roman wurden die kreativen Löcher, in die Hagen fiel, häufiger und tiefer. Manchmal war sich Robert weniger wie sein bester Freund, sondern mehr wie sein Therapeut vorgekommen.
»Es hat sich also nicht viel verändert«, stellte Robert fest.
»Nein, irgendwie nicht.« Hagen zog die Hände aus den Taschen. Seine Finger spielten mit einem Schlüsselanhänger, einer mattsilbernen, quadratischen Scheibe.
Wieder fuhr rumpelnd eine Straßenbahn vorbei. Hagen lächelte. »Ich frage mich selbst heute noch, wie du das bloß aushältst.«
Robert stand auf und verschloss das Fenster. Eine Klasse der Schule in der Nähe hatte wohl gerade Schluss, die Straße war plötzlich voller Teenager, die eimerweise Pommes aßen. Einige tauschten Kopfhörer und hörten Musik, andere standen neben einer Telefonzelle, die nicht mehr wie eine Telefonzelle aussah, sondern wie ein silberner Balken mit einem lilafarbenen Ring.
»Der Lärm von draußen stört mich nicht. Er hat es auch früher nie getan, und wenn du …« Das Läuten eines Telefons hallte durch die Wohnung. Robert sah seinen Freund erwartungsvoll an.
»Mein Handy ist das nicht«, sagte Hagen.
»Aber ich habe keins.« Robert hatte den Vertrag seines US-Mobiltelefons bereits vor Wochen gekündigt. Erst in den nächsten Tagen wollte er sich einen neuen deutschen Anbieter aussuchen.
»Und was ist es dann?«
Erst jetzt erkannte Robert den Klingelton. »Das ist mein Telefon in der Praxis.«
»Und? Willst du nicht rangehen?«
Wirst du wieder arbeiten? »Meine Praxis ist noch geschlossen.«
Weil Robert die gespeicherten Nachrichten auf dem Anrufbeantworter noch nicht gelöscht hatte, sprang das Gerät nicht an. Irgendwann hörte das Läuten auf, und Robert zuckte mit den Schultern.
»Und wenn du …?« Hagen drehte das silberne Quadrat noch immer zwischen seinen Fingern.
»Wenn ich
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