Kalte Haut
keine Ruhe geben, und sie konnte ihn verstehen. »Meinetwegen. Aber nur Sie dürfen in das Gebäude. Niemand sonst. Und nur auf dem ausgewiesenen Weg.«
Blundermann beauftragte die Kriminaltechniker, einen sicheren Pfad in das Gebäude zu markieren. Dr. Wittpfuhl breitete bis zum Hals der Leiche eine Folie aus, so dass nur noch der Kopf herausragte. Dann führte Sera den Senator in die Halle.
Je näher er der Leiche kam, desto verhaltener wurden Lahnsteins Schritte, als beschlichen ihn auf den letzten Metern doch noch Zweifel an seinem Vorhaben. Doch er gab sich einen Ruck. Zügig schritt er bis zu der Betonmauer. Als er scharf Luft in seine Lungen sog, gaben die Beine unter ihm nach. Blundermann fing ihn auf.
»Lassen Sie mich los!« Lahnstein hatte sich wieder gefangen. Er stieß den Polizisten beiseite und rang um Fassung. Möglicherweise war er den Tränen nahe, aber es war unwahrscheinlich, dass ein Mann wie er Fremden – und erst recht der Öffentlichkeit, die vor dem Gebäude in Scharen lauerte – seine echten Gefühle zeigte. »Wer hat ihm das angetan?«
38
Hagen sprang von schwarz zu schwarz über die Schachbrettfliesen. Dicht vor Robert blieb er stehen. Schweigend musterten sie sich. Zwei alte Freunde, die sich vier Jahre lang nicht gesehen und nicht gesprochen hatten.
Hagen war etwas fülliger geworden, aber trotzdem nicht dick. In seinem Alter, er war Ende dreißig, konnte ein Mann mit ein paar Pfunden zu viel auf den Hüften durchaus attraktiv wirken. Zudem bekam sein Gesicht dank der Brille, die Robert noch nicht kannte, einen dynamischeren Ausdruck. Sie hatte einen breiten schwarzen Rahmen. Nicht dass Hagen diese Veränderungen nötig gehabt hätte. Anders als Robert waren ihm schon immer die Frauenherzen zugeflogen. Er hatte sich nicht einmal viel Mühe geben müssen. Sein Privatleben war wie eine Wolke, auf der er entspannt und vergnügt dahinschwebte, von einer Beziehung zur nächsten, leidenschaftlich, aber unverbindlich.
»Wie lange bist du schon hier?«
»Anderthalb Stunden«, erklärte Robert.
»Nein, wie lange bist du schon in Berlin?«
»Seit Dienstag.«
»Also stimmt es, was man mir …« Das Dröhnen einer Straßenbahn verschluckte Hagens Worte.
»Von wem hast du es erfahren?«, rief Robert. »Von Max?«
»Wie bitte?«, schrie sein Freund gegen den Lärm an.
Eigentlich spielt es auch keine Rolle. »Schön, dich zu sehen.«
»Geht mir genauso: Schön, dass du wieder hier bist.« Hagen hängte seine Jacke an die Garderobe.
Er schaute sich in der Diele um, als betrachtete er das Mobiliar zum ersten Mal. Dabei hatte er beim Einzug geholfen, die Möbel zu schleppen.
»Puh, hier stinkt’s.« Hagen rümpfte die Nase.
»Ein Wasserschaden.«
»Hast du nicht gesagt, du bist erst seit eben hier?«
Robert zeigte ihm das Übel im Badezimmer. »Ist während meiner Abwesenheit passiert.«
»Und niemand hat sich darum gekümmert?«
»Ich wollte gerade den Vermieter informieren.«
»Die alte Kornfeld?« Hagen prustete. »Lebt die noch?«
»Nein, sie ist vor anderthalb Jahren gestorben. Jetzt gehört das Haus ihrem Sohn.«
Robert schritt voran ins Wohnzimmer, in dem ein alter, englischer Sekretär mit klassischer Strenge und klarer Eleganz alle anderen Möbelstücke dominierte. Zwei Bilderrahmen standen auf einem hohen Regal, flankiert von zwei Kerzen in schlichten Haltern.
Robert kippte das Fenster, aber der frische Wind, der vom Bürgersteig hereinwehte, machte den muffigen Gestank nur wenig erträglicher. Hagen sank auf den Sessel, Robert auf das Sofa, so wie sie immer gesessen hatten, abends nach der Arbeit, am Wochenende, bei einem Glas Wein, einem selbst gebackenen Imbiss, dazu Musik von Tangerine Dream.
»Ich würde dir gerne etwas anbieten. Aber …«
»Kein Problem, Robert.«
»Wie ich schon sagte, ich bin gerade erst gekommen.«
»Ist ja schon häufiger passiert.« Hagen lächelte nachsichtig. »Dein Kühlschrank war nie sonderlich voll, wenn ich spontan vorbeigekommen bin.«
»Stimmt«, gestand Robert.
»Bleibst du länger?«
»Wieso fragst du?«
Hagen wies auf den kleinen Koffer, der in der Diele lag. »Ist das alles, was du an Gepäck dabeihast?«
»Den Rest habe ich in den Staaten gelassen.«
»Weil du irgendwann zurückfliegst?«
»Nein, weil ich hier neu anfange.«
Hagen beugte sich vor. »Also geht es dir besser?«
39
Sera zögerte mit der Antwort. »Das können wir noch nicht sagen.«
»Hat er gelitten?«, wollte der Innensenator
Weitere Kostenlose Bücher