Kalte Haut
wissen.
Erneut vergingen einige Sekunden. »Auch das müssen wir noch herausfinden.«
Ihr kurzes Innehalten genügte. Lahnstein hatte es plötzlich eilig, aus dem Gebäude zu gelangen.
Draußen neigte sich der Nachmittag dem Ende zu, die Schatten wurden länger. Die Fotografen glotzten von den Dächern ihrer Autos aus über die Hecke, ihre Blitzlichter leuchteten wie Sterne auf, die schnell verglühten.
In dem Flackern machte Sera ihren Kollegen Peter Veckenstedt aus, der zwischenzeitlich eingetroffen war. Der Kriminalhauptkommissar hatte die Ermittlungsgruppe im Entführungsfall geleitet, jetzt würde die Arbeit an die Mordkommission übergehen. Sera winkte ihn zu sich.
Unterdessen meinte der Rotschopf an der Seite des Innensenators: »Kommen Sie, Herr Dr. Lahnstein. Ich bringe Sie nach Hause.«
»Vorher möchte ich noch mit Ihnen reden«, sagte Sera.
Der Berater schüttelte entschieden den Kopf. »Ich denke nicht, dass dies der richtige Zeitpunkt ist.«
»Ich nehme doch an, auch Ihnen ist daran gelegen, dass wir den Mörder seines Sohnes schnellstmöglich überführen?«
Mörder! Lahnsteins Bewegungen gefroren auf der Stelle. Seine Miene war starr und undurchdringlich, die routinierte Maske eines Politikers. Lediglich seine Augen schimmerten glasig, ließen den Schock und die Trauer, die ihn bewegten, erahnen. »Was möchten Sie wissen?«
Sera legte sich ihre Worte zurecht. Im Grunde war die Befragung reine Routine. Möglicherweise aber auch nicht! »Wer könnte Ihrem Sohn das angetan haben?«
»Was für eine Frage!«, mischte sich der Rotschopf neben Lahnstein wieder ein. »Das ist doch ganz offensichtlich.«
»Darf ich fragen, wer Sie sind?«
»André Benninger, der persönliche Referent des Senators. Und ich frage Sie: Haben Sie«, Lahnstein legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm, doch Benninger war nicht zu stoppen, »die letzten Tage keine Zeitung gelesen?«
»Doch, natürlich.«
»Dann müssen Sie auch wissen, was los ist. Herrn Dr. Lahnsteins Forderungen sind bei einigen, ich sage mal, Mitbürgern unserer Stadt auf wenig Begeisterung gestoßen.«
»Mitbürgern?«, fragte Sera nach, obwohl sie wusste, wen Benninger meinte, und obwohl sie es eigentlich gar nicht hören wollte.
»Na ja«, druckste der Referent, »bei Ausländern. Migranten. Deren Vereinigungen und Organisationen. Denen geht es nicht mehr um eine sachliche Auseinandersetzung über das von Herrn Dr. Lahnstein angestoßene Thema. Die bombardieren ihn ja nur noch mit Beschimpfungen und Hasstiraden –und Morddrohungen.«
»Ja, ich hab davon gehört. In welcher Form? Briefe? E-Mails? Anrufe?«
»All das. Und natürlich immer anonym.«
Nein, das gefällt mir ganz und gar nicht. Sera nagte an ihrer Unterlippe.
»Wir brauchen die Briefe und E-Mails«, sagte Gesing.
»Die haben wir bereits Ihren Kollegen ausgehändigt.«
Sera sah Polizeihauptkommissar Veckenstedt an, der bestätigend nickte. »Ja, das stimmt. Allerdings haben Sie nicht mir die Unterlagen gegeben, sondern dem Verfassungsschutz –schon vor Tagen.«
»Wie allgemein üblich in solchen Fällen«, erklärte Benninger.
»Demnach wurde der Senator also nicht zum ersten Mal bedroht?«, fragte Sera.
»Sie würden staunen, wie oft das bei Politikern vorkommt –eigentlich immer, wenn sie die unangenehme Wahrheit aussprechen.«
»Als würden Drohungen etwas an der Wahrheit ändern«, warf Lahnstein ein.
»Meist stecken irgendwelche Spinner, Verrückte oder Wichtigtuer dahinter«, fuhr Benninger fort. »Und meist denken sie nicht im Traum daran, ihre Drohung in die Tat umzusetzen. Sie wollen lediglich ihren Unmut kundtun. Oder Frust abladen.«
Sera musterte die beiden Sicherheitsbeamten, die den Senator begleitet hatten. »Aber diesmal haben Sie die Drohungen ernst genommen?«
»Ja. In den letzten Tagen hat sich die Stimmung gegen Herrn Dr. Lahnstein ziemlich aufgeheizt. Selbstverständlich haben er und seine Familie Polizeischutz erhalten.«
Sera sah Lahnstein an. »Und wie konnte dann Ihr Sohn entführt werden?«
»Weil mein Sohn, er …« Verbitterung schwang in seinen Worten mit. »Wissen Sie, Frank mochte diese Einschränkungen nicht. Er bestand auf seinem eigenen Leben. Er wohnte mit seiner Freundin, diesem Model, Jasmin Peters …« Verdruss mischte sich bei ihrem Namen in seine Stimme. »Er wohnte mit ihr zusammen. In der Simplonstraße. Am Ostkreuz. Nicht weit von hier.«
»Natürlich bekam er trotzdem Polizeischutz«, fügte Benninger schnell
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