Kalte Spur
Flasche Jim Beam und stellte sich vor, was für ein Bild er abgeben musste, jetzt, wo er im Dunkeln an den Hals eines Wallachs geschmiegt einen Steinhang hinabtrudelte. Unglaublich, wie stark ein Pferd war – ein Tier von fünfhundert Kilo! –, wenn es außer Rand und Band geriet.
Selbst als er schneller und ruckartiger kreiselte als früher beim Rodeo, überlegte er noch, was das Pferd so panisch gemacht hatte. Bären konnten das, soviel wusste er. Der Geruch eines Bären ließ sogar ein gutes Ranchpferd unter bestimmten Bedingungen durchgehen. Dieses Tier wird stürzen, dachte Tuff, und mir wird es böse ergehen.
Dann trat das Pferd auf etwas und bäumte sich auf. Tuff flog durch die Luft – er spürte den Moment des Abwurfs, den Augenblick, in dem kein Körperteil mehr mit Sattel oder Pferd Berührung hatte –, und die Zeit schien sich zu verlangsamen, bis sie mächtig beschleunigte und er mit dem Gesicht gegen einen kalten, scharfen Felsen schleuderte. Er hörte ein Knirschen, als fiele eine Tür ins Schloss.
Zehntes Kapitel
Als das Telefon um Viertel vor sechs klingelte, war Joe schon aufgestanden und unter der Dusche. Mit um die Taille geschlungenem Handtuch tappte er tropfnass den dunklen Flur entlang zum Schlafzimmer, wo seine Frau kerzengerade im Bett saß, sich die Augen rieb und den Hörer ein Stück vom Ohr weghielt. Quer durch den Raum hörte er Missy Vankueren, Marybeths Mutter, am anderen Ende der Leitung. Die schrille Dringlichkeit ihrer Stimme entging ihm nicht.
»Moment«, sagte Marybeth zu ihr, legte die Hand auf die Sprechmuschel und sah mit großen Augen auf. »Meine Mutter, Joe. Gerade haben sie auf der Ranch einen Arbeiter tot aufgefunden.«
»Oh nein.«
»Der Sheriff ist alarmiert, doch sie hätte gern, dass du kommst.«
»Ich? Warum?«
»Das hab ich sie nicht gefragt. Sie ist sehr aufgeregt. Ich vermute, sie möchte dich dabeihaben, weil du zur Familie gehörst.«
Joe hatte früh mit der Arbeit beginnen wollen. Es war Samstag und beste Bogenschützensaison, zudem begann in einem Teil seines Reviers die Rotwildjagd für Gewehrträger. Sicher waren viele Jäger im Gelände unterwegs. Der Tod eines Rancharbeiters war Angelegenheit des Sheriffs oder des hiesigen Leichenbeschauers.
»Sie sagt, er wurde verstümmelt – wie die Kühe.«
»Ich bin in einer halben Stunde da.«
Normalerweise hätte er den Herbstmorgen genossen, als er über die alte, zweispurige Landstraße Richtung Longbrake Ranch bretterte. Die Sonne war eben hinter den Bergen aufgegangen und ließ das Tal erstrahlen. Tieflandpappeln loderten rot und gelb, und im Gras schimmerte der Tau. Der Himmel war klar, frisch und wolkenlos. Auf den Wiesen ästen Maultierhirsche und hatten sich noch nicht zurückgezogen, um den Tag im Schutz der Bäume und kleinen Seitentäler zu verbringen.
Er drosselte das Tempo, bog vom Asphalt auf eine rote Piste aus gewalztem Schotter und durchfuhr das massive Holztor. Sonnengebleichte Geweihe von Elchen, Rotwild und Wapitis schmückten die Seiten- und den Querbalken. Ein verwittertes Schild – »Longbrake Ranches, Saddlestring, Wyo.« – hing an einer schweren Kette herab. Es war von kaum zwölf Schüssen durchlöchert, also wohl erst ein oder zwei Jahre alt. Ältere Schilder waren in Twelve Sleep County viel stärker verunstaltet.
Die Schotterpiste folgte einem schmalen, sich sanft schlängelnden Bach mit breiten, grasigen Ufern, durch den im Frühjahr das Schmelzwasser schoss. Dass bei seinem Vorbeifahren kein Rotwild, keine Kojoten und Enten aufflohen, verriet ihm, dass er an diesem Morgen nicht als Erster hier langkam.
Missy muss sich täuschen, dachte er.
Obwohl er keinen Zweifel am Leichenfund hegte, konnte Joe sich kaum vorstellen, dass der Rancharbeiter verstümmelt worden war. Missy neigte dazu, ihre Fantasien ins Kraut schießen zu lassen, und war anfällig für große Dramen. Er hoffte verzweifelt, dass es auch diesmal so war. Sollte tatsächlich ein Mensch getötet und wie der Elch und die Rinder verunstaltet worden sein, wäre das eine dramatische Steigerung.
Die Longbrake Ranch vermittelte einen ganz anderen Eindruck als die spartanische und rein geschäftlich orientierte Hawkins Ranch. Das Hauptgebäude war ein massives Blockhaus mit Giebelfenstern im ersten Stock und einer großen Veranda, die von einem Geländer aus astiger Kiefer gesäumt war. Das Gebäude strahlte die Eleganz eines Gentleman aus, wie Bud Longbrake einer sein wollte und wie es schon sein
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