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Kalte Spur

Kalte Spur

Titel: Kalte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
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vorsichtig mit ihm.«
    »Bin ich doch.«
    Er sah ihr in die Augen und blickte dann langsam zum Himmel.
    Auch Sheridan schaute auf, konnte in den Wolken aber nichts entdecken. Doch etwas streifte ihr Gesicht, wie ein Windhauch beim Karussellfahren auf dem Jahrmarkt in Saddlestring.
    Nate wirkte eingeschüchtert. »Es ist, als wäre da oben etwas, vor dem die Vögel sich ängstigen. Sie weigern sich zu fliegen.«

Neuntes Kapitel
    Eine Stunde später setzte Tuff Montegue dreißig Kilometer entfernt sein Pferd schnalzend in Bewegung und wandte es nach Norden, dem Wald entgegen. Es war kurz vor der Abenddämmerung, und Tuff war melancholisch gestimmt. Er sang Night Riders’ Lament, seinen liebsten Cowboysong:
    While I was out a-ridin’
The graveyard shift midnight till dawn,
The moon was as bright as a reading light
For a letter from an old friend back home …
    Seiner Arbeit auf der Longbrake Ranch zum Trotz verabscheute Tuff das Reiten. Er hatte nichts gegen Pferde, sang inbrünstig über sie und hörte diesen Liedern auch gern zu, doch als Fortbewegungsmittel zog er den Pick-up vor. Dennoch war er ein waschechter Cowboy. Er war Mitte fünfzig und sah auch so aus. Der Schnurrbart hing ihm bis zum Kinn, die Nase sprang scharf aus dem wettergegerbten Gesicht hervor, das von einem schweißfleckigen Stetson gekrönt war. Seine Jeans, die sich auf den Stiefelstulpen bauschte, saß wie durch Zauber trotz seines nicht vorhandenen Hinterns stets tadellos.
    Er erzählte den Leuten – vor allem Touristen, die ihm in Stockman’s Bar einen Whiskey ausgaben – gern, er sei der letzte ehrliche Cowboy in den Bighorns, der noch Englisch sprach. Damit hatte er sogar irgendwie Recht, da die Rancher meist nur noch Cowboys aus Mexiko und Südamerika fanden oder Möchtegerns aus der früheren DDR oder Tschechien. So oft er seinen Beruf auch an den Nagel hängte,
er kehrte stets wieder zurück. Zwischen Gastspielen auf fünf Ranchen in den Countys Park, Teton und Twelve Sleep hatte Tuff Satellitenschüsseln verkauft und als Mechaniker, Vermessungsgehilfe, Kundendienstmitarbeiter einer Handyfirma und in einem rustikalen Dinner-Theater in Jackson Hole in der Rolle eines Hinterwäldlers gearbeitet, wo er jeden Abend mit dem Pferd ins mit Touristen gefüllte Zelt zu reiten, sich eine »Ehefrau« auszusuchen und sie sich über die Schulter zu werfen hatte. Als er sich dummerweise eine junge Mutter vom Gewicht eines ausgewachsenen Kalbs auserkoren hatte (sie gehörte zu den Frauen, die im Sitzen dünn wirken, aber bierfassgroße Oberschenkel unterm Tisch verbergen) und unter ihrer Last zusammengebrochen war, hatte er sich eine Rückenverletzung zugezogen. Diese Verletzung war ein Glückstreffer gewesen, denn er hatte ihretwegen eine Arbeitsunfähigkeitsrente kassiert und nichts zu tun gehabt außer hübsch auf einem Hocker bei Stockman’s zu sitzen. Bis das dämliche Rustikal-Dinner-Theater, das einer Mormonen-Großfamilie gehörte, seine Verletzung anfocht. Anscheinend hatte einer der Eigner ihn in einem Saloon in Cody einen mechanischen Bullen reiten sehen. Auch wenn er sich tatsächlich dazu hatte hinreißen lassen, fragte sich Tuff, was ein anständiger Mormone in einer Bar zu suchen hatte. Bis zur Klärung dieser Angelegenheit hatte er sich einmal mehr Arbeit suchen müssen.

    Doch es gab noch einen weiteren Grund für Tuffs Melancholie. Es war Freitagabend und er saß auf der Ranch fest, statt wie üblich in die Stadt fahren zu können. Nach seiner Festnahme wegen Trunkenheit am Steuer in der Vorwoche – dem dritten Arrest binnen zwei Jahren – war ihm der Führerschein
entzogen worden. Der einzige weitere Arbeiter auf der Longbrake Ranch, ein Mexikaner namens Eduardo, war vom Pferd gefallen und lag mit gebrochenem Bein in der Schlafbaracke. Deshalb, und weil Bud Longbrake das Gesetz penibel befolgte und ihn sogar auf der Ranch kein Motorfahrzeug nutzen ließ, hatte Tuff keine Fahrgelegenheit. Er wusste, dass Sheriff Barnum und die Verkehrspolizei keinen Einspruch erheben würden, falls Bud Longbrake sich dafür starkmachte, Tuff auf seinen Privatstraßen fahren zu lassen. Doch für Longbrake, der sich vielmehr um die Bedürfnisse und Wünsche seiner Verlobten Missy als um seine Ranch kümmerte, hatte ein Treffen mit dem Sheriff keine Eile.
    Mist.
    Trotz seiner misslichen Lage lächelte Tuff. Das letzte Wochenende war beinahe den auf dem Heimweg verlorenen Führerschein wert gewesen. Die Barfrau im Stockman’s, Evelyn

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