Kalte Spur
Schluck und nach der ersten Herbe breiteten sich die Flammen des vertrauten Feuers in Brust und Bauch aus. Manchmal fand er seine Erinnerungen – und was sich damit anstellen ließ – fast besser als das Erlebte selbst. Aber er brauchte eine Grundlage, bevor er sie seinen Vorstellungen gemäß ausschmücken konnte.
Er ritt langsam den Berg hinauf, starrte feindselig auf den Hinterkopf des Wallachs. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was mit einem Pferdeschädel passierte, wenn man ihn mit der Zaunzange bearbeitete.
Wie im Lied ritt er am Zaun entlang, die Zügel in der Linken, die Flasche in der Rechten. Eine kalte Nacht zog auf. Die Luft war etwas feucht, wohl der geschlossenen Wolkendecke wegen. Die trocknen, staubigen Salbeisträucher, deren Duft sich nun langsam mit der harzigen Würze der Kiefern vermischte, verbreiteten ihr intensives Aroma. Seinen Atem roch er allerdings auch. Nicht angenehm.
Der Wallach atmete stoßweise, als er den steinigen Hang zu einem Strich Espen erklomm. Nicht dass das Pferd schneller ging und deshalb rascher atmen musste – im Schritt kannte es nur ein Tempo, das dem Kriechgang eines Allradfahrzeugs entsprach. Tuff war drauf und dran, umzukehren und Feierabend zu machen. Ohne Sternen- und Mondlicht konnte er ohnehin nicht sehen, ob es auf diesem Bergsattel verirrtes Vieh gab. Und im winzigen Kegel der Taschenlampe danach Ausschau zu halten, war das Letzte, wozu er bereit war.
Dennoch hoffte er, die Kühe zu finden, damit Bud Longbrake ihm nicht länger im Nacken saß.
Die Espen hoben sich vom dunklen Nadelwald ab, der am Hang himmelwärts stieg. Ihre Blätter waren schon gelbrot verfärbt und kurz davor, abzufallen. Diese Bäume sogen das letzte Licht auf und wirkten wie ein hellbrauner Pinselstrich auf einem erhabenen, düsteren Landschaftsbild.
»Wow.«
Tuff hielt an und ließ einen Stiefel aus dem Steigbügel gleiten, um sich im Sattel drehen zu können und einen Rundumblick zu bekommen. Er hatte gehört, wie leicht man hier oben die Orientierung verlieren konnte, doch er hatte sich nicht verirrt. Tief unten waren die blauen Lichter der Ranch kristallklar zu erkennen. Vierzig Kilometer dahinter schimmerte die Beleuchtung Saddlestrings in welligen Reihen.
Er wandte sich wieder nach vorn. Zwischen den Espenstämmen schien sich etwas zu bewegen, oder war das eine trunkene Sinnestäuschung? Tuff wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er im Rausch Dinge sah, die nicht real waren. Doch diesmal hatte die Szene etwas Echtes, unvermittelt beklommen Machendes. Erneute Bewegung. Etwas oder jemand huschte da von einem Baum zum anderen. Die Gestalt war dicker als die Stämme, doch wenn sie sich verbarg, schien sie mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Er hörte einen Zweig knacken, und auch sein Pferd stellte plötzlich die Ohren auf.
Langsam atmete er aus. Das war sicher nur ein Hirsch oder ein Wapiti. Andererseits versteckte sich Wild nicht – es flüchtete. Plötzlich stieß sein Pferd ein tiefes, abgehacktes Husten aus. Er fürchtete dieses Geräusch wie jeder Reiter, denn es signalisierte Ärger. Sein langsamer, sanftmütiger Wallach war kurz davor, Hunderte Jahre der Zähmung abzuwerfen und wieder zum Wildtier zu werden.
Es machte einen Satz und warf Tuff fast aus dem Sattel.
Seine Position und der Bourbon hatten ihm ein labiles Gleichgewicht eingetragen.
»Was ist nur mit dir los?«, knurrte er und gab dem Tier mit der flachen Hand einen Schlag aufs Ohr.
Anders als zuvor steckte das Pferd den Schlag nicht weg, sondern begann, panisch den Hang hinabzuschlittern.
»Was ist denn?«, schrie er. Der Wallach bewegte sich viel rascher abwärts, als er hochgetrottet war. Tuff wollte ihn wenden, damit das Tier nicht länger sah, was es zwischen den Espen verängstigt hatte. Bourbon spritzte auf seine nackte Hand, als er versuchte, die Zügel nah am Gebiss des Pferds zu fassen, um es herumzureißen. Der Alkohol geriet dem Tier ins Auge, was es endgültig zornig machte, sodass es wild und abrupt herumfuhr.
Tuff presste die Schenkel zusammen, um sich im Sattel zu halten. Der Hut flog ihm vom Kopf, die Flasche sauste zu Boden, was ihm gar nicht recht war. Er wurde nach vorn geschleudert und klammerte sich intuitiv an den Hals des Pferdes. Ihm waren die Zügel entglitten. Was, wenn das wild gewordene Tier unabsichtlich auf die Zügel trat, sich und seinen Reiter zu Boden riss und sie sich den Hals brachen? Er dachte an die zerbrochene
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