Kalte Stille - Kalte Stille
Doppelgängerin trifft.«
Sie sah ihm tief in die Augen, und Jan erkannte die Entschlossenheit in ihrem Blick. Aber er erkannte auch noch etwas anderes - sie sagte ihm nicht die ganze Wahrheit. Und auf einmal begriff er.
»Was hat Rudi mit der ganzen Sache zu tun?«
Sie ließ von ihm ab und wich zurück. »Welcher Rudi?«
»Tu nicht so, du weißt genau, wen ich meine.«
»Marenburg? Wie kommst du darauf, dass er …«
»Er war gestern mehrere Stunden bei dir.« Er tippte sich an die Schläfe. »Allmählich beginne ich, das alles zu durchschauen. Deshalb war er so darauf aus, dich nach Hause zu bringen. Ihr habt über diesen Verdacht gesprochen, nicht wahr? Er hat dir von Alexandra erzählt. Von seinem Verdacht, dass man auch ihr damals etwas in der Klinik angetan haben könnte. Etwas, das sie in den Wahnsinn getrieben hat.«
»Er hat mir von ihrem Tod erzählt, ja. Und davon, dass es keine plausible Erklärung dafür gegeben hat. So wie bei Nathalie.«
»Und ich gehe jede Wette ein, dass er auch die erstaunliche Ähnlichkeit erwähnt hat. Deshalb deine Perücke.«
Carla lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie presste die Lippen aufeinander.
Jan sah sie anklagend an. »Ihr beide benutzt mich nur.«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Jan. Wir benutzen dich nicht, wir brauchen dich.« Wieder griff sie
nach seiner Hand. »Ich hatte gehofft, dass du mich verstehen würdest. Du weißt doch selbst am besten, wie sehr es einen zerfressen kann, wenn man die Wahrheit nicht kennt.«
Er zog seine Hand zurück. »Das ist etwas völlig anderes.«
»Ach ja? Nathalie war der einzige Mensch, der mir wirklich nahegestanden hat. Sie war die wichtigste Person in meinem Leben. Wo ist da der Unterschied zu dir und deinem Bruder?«
Jan wich ihrem Blick aus. Natürlich hatte sie Recht. Der einzige Unterschied mochte vielleicht darin bestehen, dass sie mit Sicherheit wusste, dass Nathalie tot war, wohingegen er sich immer wieder gegen die Versuchung zur Wehr setzen musste, zu glauben, dass Sven vielleicht überlebt haben könnte - dass es ihn noch irgendwo gab. Vielleicht war die zerrissene Unterwäsche, die man am Tatort gefunden hatte, nur eine falsche Fährte gewesen - die man bewusst gelegt hatte, um alle Welt glauben zu machen, Sven sei einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen.
Jan starrte vor sich auf den Tisch, auf dem Carlas Akte lag. So wie er nach einer Antwort auf diese Fragen suchte, wollte Carla den Grund für Nathalies Selbstmord wissen. Und genauso suchte Marenburg nach einem Grund für das, was mit Alexandra geschehen war. Sie waren alle drei besessen.
Jan sah zu Carla auf. »Wie habt ihr euch kennengelernt, du und Nathalie?«
Carla senkte den Kopf und betrachtete ihre Handgelenke. »Es war in einer Zeit, in der ich sonst niemanden hatte.«
»Erzähl mir davon.«
Sie biss sich auf die Unterlippe, als wollten ihr die Tränen kommen. Doch sie weinte nicht.
»Das ist jetzt fünf Jahre her«, sagte sie mit leiser, belegter Stimme. »Es war gerade ein halbes Jahr vergangen, seit ich von zu Hause ausgezogen war. Ich habe gerne zu Hause gewohnt, weißt du. Mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder habe ich mich immer gut verstanden. Aber ich wollte eben auf eigenen Beinen stehen. Na ja, und dann …« Sie schluckte, holte tief Luft und sprach weiter. »Hin und wieder traf ich mich mit meiner Familie zu einem gemeinsamen Einkaufsbummel. Das war eine der Ideen meines Vaters, dem es immer wichtig war, dass die Familie öfter mal etwas Gemeinsames unternahm. Manchmal einen Ausflug, oder wir trafen uns zum Essen, oder eben das Einkaufen. Dann gingen wir in die Stadt, stöberten in den Geschäften, meistens Philipp zusammen mit Vater und ich mit Mutter. Das war immer sehr lustig, vor allem, wenn die Männer sich selbst ihre Klamotten kauften, die ihnen dann entweder eine Nummer zu klein oder zu groß waren.«
Sie lachte traurig. »Und dann, es war an einem Dienstag Anfang Juni, rief mich meine Mutter an und wollte wissen, ob ich am nächsten Samstag Zeit hätte. Ich konnte aber nicht, weil ich bis zum Hals in Arbeit steckte. Damals hatte ich gerade beim Fahlenberger Boten angefangen und schob Überstunden wie verrückt, um nach der Probezeit übernommen zu werden. Also sagte ich ab. Nicht schlimm, sagte Mama. Ich höre sie noch wie heute. Nicht schlimm, dann kommst du halt beim nächsten Mal wieder mit, und ich habe gesagt: Klar, beim nächsten Mal bin ich bestimmt wieder dabei . Aber es gab kein
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