Kalte Stille - Kalte Stille
nächstes Mal.«
Sie presste die Augen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten.
Doch es war zu spät. Mehrere dicke Tropfen kullerten ihr über die Wangen und zogen schwärzliche Kajalspuren mit sich.
Jan ließ ihr Zeit und schwieg.
»Da war dieser Mann. Sein Name war Peschke. Eduard Peschke. Zweiundsiebzig Jahre alt. Er fuhr mit seinem Mercedes die Seitenstraße entlang, in der mein Vater immer parkte, wenn wir zum Einkaufen gingen. Da hinten, wo es zum Finanzamt geht. Weißt du, wo ich meine?«
Jan nickte. »Ja, ich kenne die Straße. Kann man da noch immer frei parken?«
»Man muss nur früh genug dort sein. Vater meinte immer, das Geld fürs Parkhaus investiert er lieber in einen Kaffee vor der Heimfahrt. Und die paar Meter bis zur Fußgängerzone könne man auch zu Fuß gehen. Das war typisch für ihn. Wenn er geahnt hätte, dass …« Sie musste wieder schlucken. »Dieser Peschke, er hatte einen Schlaganfall. Es passierte genau in dem Moment, als Philipp und meine Eltern ausgestiegen waren. Der alte Mann muss so etwas wie einen Krampf bekommen haben. Auf einmal trat er das Gaspedal durch und raste in die parkenden Autos. Meine Eltern … sie waren sofort tot. Philipp kam auf die Intensivstation. Er lag im Koma, ist aber nicht mehr zu sich gekommen. Er starb zwei Wochen später.« Sie wischte sich mit einer ihrer Bandagen die Tränen aus dem Gesicht. »Ich hatte niemand mehr, Jan. Meine ganze Familie war plötzlich weg. Nur weil ein alter Mann ausgerechnet in diesem einen Moment einen Schlaganfall bekommen hat. In dieser Zeit war Nathalie für mich da. Sie hat sich um mich gekümmert. Wir kannten uns bis dahin eher flüchtig, aber das änderte sich jetzt. Wir wurden wie
Schwestern. Verstehst du jetzt, weshalb ich das für sie mache?«
Jan atmete tief durch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ja, das verstehe ich.«
Sie sah ihn fragend an. »Und, wirst du mir helfen?«
»Carla, hör mir zu. Ich werde dich auf Station 12 überweisen. Der Arzt dort ist Dr. Norbert Rauh. Er hat auch Nathalie behandelt.«
»Dann denkst du also auch, dass dort etwas nicht stimmt?«
»Nein, tue ich nicht. Ich denke, dass du sehr unter Nathalies Verlust leidest. So sehr, dass du alles daransetzt, den Grund für ihren Tod zu begreifen. Rauh kann dir helfen, da bin ich mir sicher.«
»Du glaubst also nicht, dass Nathalies Tod mit der Klinik zu tun hat?« Die Enttäuschung in Carlas Stimme war nicht zu überhören.
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, Carla. Tu mir nur einen Gefallen. Wenn du schon Detektiv spielen musst, lass Rudi dabei aus dem Spiel. Hörst du?«
»Warum sollte ich das?«
»Rudi ist sowieso überzeugt, dass die Klinik an allem schuld ist. Du solltest ihm nichts erzählen, was ihn noch unnötig aufstachelt. Wenn du mit jemanden reden musst, dann komm bitte als Erstes zu mir.« Er lächelte sie an. »Mich kannst du allerdings nur mit handfesten Beweisen überzeugen. Und weil wir schon beim Thema sind, was macht Rudi eigentlich gerade? Was ist seine Rolle bei eurem Plan?«
43
Die meisten der Einfamilienhäuser in der Schlesischen Straße waren unmittelbar nach dem Krieg entstanden, als sich Vertriebene aus dem Sudetenland in Fahlenberg angesiedelt hatten. Die Bausubstanz war nach wie vor von guter Qualität, trotz der Eile, in der die »Flüchtlingssiedlung« entstanden war, wie sie unter den Fahlenbergern noch lange Zeit genannt wurde.
Die Häuserreihe, die Rudolf Marenburg nun entlang ging, wirkte auch äußerlich recht gepflegt. Je nach finanzieller Situation des Eigentümers waren die alten Holzrahmen durch isolierte Kunststofffenster ersetzt, Haustüren erneuert und Außenwände frisch verputzt worden.
Eines der kleinen Häuschen hatte einen rötlichen Anstrich erhalten, der sich zwischen den übrigen weiß gestrichenen Häusern recht gewagt hervortat.
Hieronymus Liebwerks Heim folgte unmittelbar nach dem rötlichen Haus. Die Häuser standen dicht aneinandergereiht, so dass sie nur ein schmaler Streifen Grün umgab. Der Platz reichte gerade aus, um zwei Mülltonnen nebeneinanderzustellen. Jetzt im Winter mochte das ganz praktisch sein, dachte Marenburg, als er sich das Haus besah. Immerhin gab es kaum Fläche zum Schneeräumen.
Liebwerks Haus machte einen nicht ganz so gepflegten Eindruck wie das seines Nachbarn. Auf dem Holzblatt der Haustür waren deutliche Altersspuren erkennbar, die Fassade hätte längst einen neuen Anstrich vertragen können, und in der Steinstufe zum Eingang
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