Kalte Stille - Kalte Stille
dass mich ihre Freundin nun verdächtigt,
dafür verantwortlich zu sein. Sie ist sogar so sehr davon überzeugt, dass sie sich die Arme ritzt, um auch sicher in dieser Klinik zur Behandlung aufgenommen zu werden. Sie verkleidet sich als Doppelgängerin und beschwatzt einen anderen Klinikarzt, sie zu mir zu verlegen, in der Hoffnung, ich werde ihr genau dasselbe antun , was ich ihrer Freundin angetan habe. Was immer Sie sich auch ausgemalt haben, was das gewesen sein könnte. Das , liebe Frau Weller, dürfte die Wahrheit sein, die Sie gern hören wollen.«
»Nun, was haben Sie Nathalie denn angetan ?«, fragte Carla.
Rauh reckte den Hals, atmete durch und sah sie dann wieder an. »Ich habe mich mit ihr unterhalten. So wie ich mich jetzt mit Ihnen unterhalte. Ich habe mir ihre Ängste angehört.«
»Sie hätte Ihnen nie von ihren Ängsten erzählt.«
Rauh lächelte auf die überhebliche Weise, die Carla so abstieß.
»Höre ich da Eifersucht heraus? Wie kommen Sie darauf, dass es nicht so gewesen sein soll?«
»Weil ich Nathalie gekannt habe«, sagte sie, schärfer als beabsichtigt. »Besser als jeder andere.«
»Ach ja?« Rauh hob eine Braue. Er schien belustigt. »Dann hätten Sie auch ahnen müssen, dass sich Frau Köppler bei unserer ersten Begegnung nicht auf den Stuhl gesetzt hat.«
»Den Stuhl? Was hat das schon zu bedeuten?«
»Mehr als Sie denken, Frau Weller.«
In einer geschmeidigen Bewegung stand Rauh aus dem Ledersessel auf. Er trat zur Tür und öffnete sie.
»Sie gehen jetzt besser«, sagte er wieder mit der ruhigen Stimme, mit der er sie begrüßt hatte.
»Sie werfen mich raus?«
»Ich halte es für besser, wenn wir unsere Sitzung für heute beenden. Kommen Sie wieder, wenn Sie ernsthaft an einer Therapie interessiert sind. Und dazu möchte ich Ihnen dringend raten. Andernfalls sollten Sie Ihren Klinikaufenthalt überdenken.«
Carla erhob sich. »Sie haben mir noch keine klare Antwort gegeben.«
»Zu Frau Köppler werde ich Ihnen auch keine weiteren Informationen geben«, sagte Rauh unwirsch. »Das verbietet meine Schweigepflicht. Und die gilt auch über den Tod meiner Patientin hinaus. Ach, Frau Weller, und eine Frage hätte ich noch an Sie .«
»Ja?«
»Kennen Sie einen Rudolf Marenburg?«
Carla war über diese Frage viel zu verdutzt, als dass sie sofort antworten konnte.
Rauh nickte nur kurz, dann schloss er die Tür.
45
Das Wohnhaus des Klinikleiters befand sich am südlichen Rand der Waldklinik. Wie die meisten Gebäude auf dem Krankenhausgelände war es bereits in den Gründungsjahren errichtet worden - zu einer Zeit, in der die Leiter solcher Institutionen noch wie Fürsten behandelt wurden und ebenso gelebt hatten.
Als Jan das hohe Vestibül mit den riesigen Fenstern und dem blankpolierten Parkettboden betrat, hatte er den Eindruck, er sei zu einer Schlossbesichtigung eingeladen
worden und nicht nur zu einem Abendessen mit der Familie seines Chefs.
»Unter uns gesagt, haben wir uns hier noch nie sonderlich wohlgefühlt«, bekannte Fleischer später beim Essen, von Jan auf die pompöse Ausstattung angesprochen. »Ich trage mich immer noch mit dem Gedanken, hier eine Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu eröffnen und mit Hannah in ein kleineres Haus zu ziehen. Jetzt, wo uns die Mädchen nur noch selten besuchen.«
»Papa, du bist ungerecht«, empörte sich Annabelle. Fleischers jüngere Tochter war eine bildschöne Blondine, ein Ebenbild ihrer Mutter. »Wir besuchen euch doch ständig.« Sie fuhr zärtlich über die Rundung ihres Bauchs. »Und vielleicht werdet ihr in drei Monaten über jede ruhige Minute froh sein. Der kleine Derwisch strampelt schon wieder wie ein Wilder.«
»Ihr werdet uns sicherlich nie zu viel«, versicherte Frau Fleischer. »Auch wenn wir einmal in einem kleineren Haus leben sollten, wird sich daran nichts ändern.«
»Während des Studiums habe ich in einer Bude gehaust, die kleiner war als unser jetziges Badezimmer«, sagte Fleischer und reichte Jan eine Schüssel mit Kartoffeln. Jan lehnte dankend ab.
»Die Wohnung danach war auch kaum größer.« Hannah Fleischer zwinkerte ihrem Mann zu. »Aber sie hatte etwas Kuscheliges, nicht wahr, Raimund?«
Fleischer lächelte versonnen seine Frau an. »Vor allem mussten wir uns noch keine Putzfrau leisten.«
»Ach, du alter Chauvinist«, lachte Frau Fleischer und schenkte Jan Wein nach.
»Liebste Hannah, das alt nimmst du sofort zurück.«
»Ich bin mir hier immer vorgekommen wie
Weitere Kostenlose Bücher